Mittwoch, 19. Mai 2010

Haben die Wikinger den „menschlichen Kreis“ geschlossen?


Vortrag und Gespräch anlässlich der UNESCO-Nominierung von Haithabu und Danewerk in Schleswig-Holstein

Am 18. Mai fand in der Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund eine Veranstaltung zur Bewerbung der Orte Haithabu und Danewerk um den Status des UNESCO-Weltkulturerbes statt. Die Wikingerstätten Haithabu und Danewerk sollen mit sechs anderen Stätten in Island, Dänemark, Schweden und Norwegen als Weltkulturerbe nominiert werden. Haithabu war die erste frühmittelalterliche Stadt Nordeuropas und ein bedeutender überregionaler Handelsplatz. Das Danewerk war eine etwa 26 Kilometer lange Befestigungsanlage, welche die Südgrenze des entstehenden dänischen Königreiches bildete.
Bereits in seiner Einführung erläuterte Staatssekretär Maurus die Anstrengungen des Landes, die Nominierung zu erhalten, unter anderem mit einer aufwendigen Modernisierung des Wikingermuseums von Haithabu. Mit Haithabu hätte Schleswig-Holstein dann zusammen mit der Hansestadt Lübeck und dem Wattenmeer die dritte Weltkulturerbestätte.
Der folgende, sehr lebendige und spannende Vortrag von Prof. von Carnap zeichnete ein Bild der Wikinger jenseits von ihrem Image als „böse Buben“ des Frühmittelalters oder Hollywoodproduktionen und Zeichentrick. So trugen die Wikinger beispielsweise nie gehörnte Helme. Die wichtigsten Fundstücke aus der Zeit der Wikinger sind natürlich Schiffe, doch auch die Häfen stellen wichtige Fundstätten dar, so auch Haithabu, wo der Ring der Stadtbefestigung noch gut erkennbar ist. Auch die weiten Handels- und Beutefahren der Wikinger lassen sich anhand von Funden nachvollziehen, so wurden islamische Dirhams und Toneier aus Kiew in den ehemaligen Städten der Wikinger gefunden. Sogar in der Hagia Sofia in Istanbul befindet sich ein in Runenschrift verfasstes „Graffiti“ eines Wikingers.
Ihre hoch entwickelte Seefahrtstechnik führte die Wikinger auch bis nach Grönland und nach Nordamerika. Auf Grönland trafen die Wikinger dann auf die aus dem Osten nach Grönland gekommen Inuit und schlossen somit den „menschlichen Kreis“ auf der nördlichen Halbkugel. Die Bezeichnung Grönland (=Grünland) für die eisige Insel im Nordatlantik entlarvte Prof. von Carnap als den Versuch, die Insel für die damalige Besiedlung attraktiv zu machen.
Das folgende Gespräch unter Leitung der ZDF-Kulturredakteurin Carola Wedel drehte sich vor allem um die Frage, wie wahrscheinlich die Anerkennung des Status als Weltkulturerbe sei. Denn Deutschland hat bereits 33 UNESCO-Weltkulturerbestätten, auch international gibt es eine deutliche Konzentration der Weltkulturerbestätten in Europa. Daher darf jeder Staat pro Jahr nur einen Ort als Weltkulturerbe vorschlagen, in Deutschland führt der Kulturföderalismus dazu, dass jedes Bundesland nur alle 16 Jahre einen Ort vorschlagen kann. Daher erklärt sich auch die Federführung Islands in diesem Projekt, Schleswig-Holstein könnte in den nächsten Jahren gar keinen Ort vorschlagen. Leider konnte die isländische Vertreterin aufgrund der vulkanischen Aschewolke nicht an der Gesprächsrunde teilnehmen. Dennoch wurde die internationale Ausrichtung des Projektes allseitig begrüßt, auch wenn ein solcher Prozess für die UNESCO offenbar noch Neuland bedeutet. So sind verschiedene Teile des römischen Limes in Deutschland und Großbritannien unabhängig voneinander zum Weltkulturerbe erklärt worden.
Besonders das Alleinstellungsmerkmal in Verbindung mit einem guten Plan zur Erhaltung des Denkmals kann zu einer positiven Entscheidung der UNESCO führen, doch in diesem Punkt zeigten sich alle Beteiligten sehr optimistisch, die harten Auflagen der UNESCO auch in Zukunft erfüllen zu können.
Auch von der Wichtigkeit einer breiten touristischen Vermarktung waren sämtliche Vertreter überzeugt, folglich waren auch die wichtigsten Vertreter der schleswig-holsteinischen Tourismusindustrie nach der Veranstaltung im Foyer vertreten, als der Abend bei nordmännischem Ochsenbraten aber leider ohne Met ausklang.
Thomas Claes

Montag, 10. Mai 2010

Buchpräsentation: Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung


In den Räumen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur stellte Meinhard Stark vor kurzem sein Buch „Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung“ vor. Auf dem Podium saßen neben Stark auch die ehemaligen Gulag-Häftlinge Karl Heinz Vogeley und Lothar Scholz. Starks sachliche Buchvorstellung bildete einen starken Kontrast zur lebendigen, detailreichen Erzählweise der geladenen Gäste. Der Autor berichtete von mehreren 100.000 Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als „Politische“, gemeinsam mit russischen Kriminellen und Verschleppten aus 26 anderen Nationen, schwere Zwangsarbeit verrichten mussten. Der Entlassung folgten oft neue Gerichtsverfahren, der Weg in die Verbannung oder die Überwachung durch KGB oder Stasi. Den „Entlassenen“ wurde so jede Hoffnung auf eine selbstbestimmte Zukunft genommen.

Besonders Karl Heinz Vogeley war deutlich anzumerken, dass er bisher selten öffentlich über das Erlebte berichtet hatte. Mit beiden Händen umklammerte er das Mikrofon und erzählte, dass er gerade einmal 16 war, als er zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Stalins Gulag-System verurteilt wird. Sein Vergehen: Gemeinsam mit elf anderen Jungen hatte er in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs so genannte „Wolfsangeln“, das Erkennungszeichen des nationalsozialistischen „Werwolfs“, an Hauswände geschmiert. Von einem Militärgericht wurden die Jugendlichen der Sabotage beschuldigt und zu 15 Jahren Straflager verurteilt. Von zwölf verschleppten Jungen kamen nach 1950 nur sechs aus der Gefangenschaft zurück. Der zweite Gast der Veranstaltung, Lothar Scholz, berichtete, wie er nach seiner Verhaftung 1947 acht Jahre lang, anstatt mit Stiefeln, „in Wattestrümpfen über den Polarkreis lief“. Erst nach dem Tod Stalins, am 5. März 1953, rückte seine Entlassung in greifbare Nähe. Trotzdem musste er weitere zwei Jahre in verschiedenen Lagern zubringen, bis er in die Bundesrepublik überstellt wurde.

Im Gegensatz zu Lothar Scholz begann Karl Heinz Vogeley sein Leben in der DDR unter wesentlich ungünstigeren Voraussetzungen. Während die Heimkehrer im Westen, wie Scholz immer noch gerührt berichtete, „wie Helden gefeiert“ wurden, die beste gesundheitliche Versorgung und einen Arbeitsplatz erhielten, erfuhr Vogeley in der DDR von offizieller Seite ausschließlich Ablehnung. Eine Berufsausbildung wurde ihm verwehrt, an eine Arbeitsstelle als Hofarbeiter kam er nur durch die Fürsprache einer Nachbarin. Vogeley erzählt, erst an diesem Punkt, vier Monate nach seiner Rückkehr nach Deutschland, habe er gemerkt, dass er nicht nur „Verbrecher“ sei. Trotz ungünstiger Umstände erarbeitete sich Vogeley im Laufe der Jahre eine leitende Position; wichtige Entscheidungen ließ man ihn jedoch nie treffen. Das Stigma des „politisch Unzuverlässigen“ hing ihm bis zum Untergang der DDR nach.

Der Abend gewann durch die Erzählungen der beiden Männer eine eigene Dynamik. Das eigentliche Thema der Veranstaltung, Gulag-Häftlinge nach der Entlassung, verlor sich dadurch ein wenig. Um so mehr dient das Buch als Nachlese: „Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung“ von Meinhard Stark. Der Band erschien im April im Metropol Verlag und kostet 24,00 Euro (Metropol Verlag).

Martina Lehnigk