Dienstag, 29. Juni 2010

Der Drachenbändiger: 12 Fragen an Wolfgang Schwerdt (Auszug)

Woher kommt eigentlich deine Faszination für Drachen?
(…) Natürlich hatten mich Drachen schon seit meiner Jugend fasziniert, denn ich war ein begeisterter Leser aller Literatur, die mit Sagen, Mythen und Legenden zu tun hatte. Schwabs schönste Sagen des klassischen Altertums, die germanischen Götter- und Heldensagen und nicht zuletzt natürlich die Ilias und die Odyssee, um nur einige zu nennen. Und da gehören Drachen selbstverständlich immer dazu.

Wie wird man ein Drachenexperte?
Drachenforschung ist eine recht komplexe Angelegenheit und Drachenexperte zu werden erfordert schlicht und ergreifend universelle Interessen, erfordern das, was man in der Neuzeit einen Gelehrten nannte, einen vielseitig Belesenen und Informierten. (…) Für den kulturgeschichtlich orientierten Drachenforscher ist der Drache nicht Ausgangspunkt, sondern Ergebnis und Ausdruck kulturgeschichtlicher Prozesse. Und so gehören zur Drachenforschung linguistische Fragestellungen ebenso wie die Untersuchung sozialer Organisationsformen, die Funktion und Entstehung von Ideologien, Literaturanalyse- und Quellenkritik, Technik- und Kunstgeschichte, Kenntnisse über Archäologie und ihre Methoden und vieles, vieles mehr. Ein wenig von dem, was hinter einer kulturgeschichtlichen Drachenforschung so alles steckt, wird sicherlich im Rahmen meines nächsten Buches mit dem nahezu programmatischen Titel „Andre Zeiten, andre Drachen“ erahnbar sein.

Demnächst kommt ja noch ein anderes Drachenbuch von dir heraus. Kannst du uns schon etwas darüber verraten?
Nichts lieber als das. Ich hatte es oben schon angedeutet, es handelt sich um ein kleines Sachbuch zur Kulturgeschichte des Drachen und heißt ‚Andre Zeiten, andre Drachen’. (...) In diesem Buch aus der Reihe kleine Kulturgeschichten spanne ich den Bogen von der Entstehung der westlichen Drachenvorstellung in Vorderasien und deren gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung in Europa über einen Zeitraum von nicht weniger als 10.000 Jahren, bis heute. Das beginnt bei den recht kantigen göttlichen Drachen der babylonischen Schöpfung und endet bei den sehr stromlinienförmigen Drachen der Fantasy unserer Zeit.

Jetzt kommt natürlich noch die Glaubensfrage: Gibt es Drachen tatsächlich?

Für viele Mensche gibt es Drachen, sei es als biologische Wesen in Form der Komodowarane auf den Galapagosinseln oder der Saurier, sei es als innere kosmische Kraft einer esoterischen Lehre, sei es als Archetypus der Tiefenpsychologie. Für mich existiert der Drache ausschließlich als kulturgeschichtliches Phänomen, als real begriffenes Modell komplexer natürlicher oder gesellschaftlicher Prozesse.

Mit freundlicher Genehmigung von „Crazy Cultue Clap“. Das kpmplette Interview gibt es hier: http://crazy-culture-clap.com/2010/06/09/der-drachenbandiger-12-fragen-an-wolfgang-schwerdt/

Im Herbst 2010 erscheint das Taschenbuch „Andere Zeiten, andere Drachen“ im Vergangenheitsverlag: www.vergangenheitsverlag.de

Montag, 21. Juni 2010

65 years after World War II - Reflections of a Nuremberg prosecutor


Vortrag von Prof. Dr. Benjamin Ferencz (Chefankläger in den Nürnberger Einsatzgruppen-Prozessen) im Audimax der Humboldt-Universität, Berlin

Bericht: Der Chefankläger im „größten Mordprozess der Geschichte“, dem Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess, Prof. Dr. Benjamin Ferencz, hielt am 28. Mai 2010 einen öffentlichen Vortrag im Audimax der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes (SD) waren Sondereinheiten des NS-Regimes, welche besonders im Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945 Massenmorde an der Zivilbevölkerung begingen. Mitglieder der Einsatzgruppen waren meist Angehörige der SS, aber auch zahlreiche deutsche Polizeibeamte. Insgesamt ermordeten die Einsatzgruppen ca. eine Million Menschen, darunter Juden, Sinti und Roma sowie politische Gegner des NS-Regimes wie Kommunisten und Partisanen. Die Führer der Einsatzgruppen berichteten stets detailliert über die Tötungsaktionen nach Berlin. Diese Akten wurden nach dem Krieg gefunden und bildeten die Basis für den Einsatzgruppen-Prozess von 1946/47. Der Prozess fand nach dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess unter alleiniger Verantwortung der USA vor einem amerikanischen Militärgericht statt. Alle 22 Angeklagten dieses Prozesses, darunter SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf, wurden schuldig gesprochen; 14 erhielten die Todesstrafe. Vier dieser Todesurteile wurden am 7. Juni 1951 vollstreckt, die übrigen wurden in teilweise lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Benjamin Ferencz war mit 27 Jahren der jüngste Chefankläger im Einsatzgruppen-Prozess. Er wurde 1920 in Rumänien geboren und wuchs in den USA auf. Während seines Jurastudiums in Harvard befasste er sich besonders mit Völkerrecht. Während des Krieges kam er zunächst als einfacher Infanteriesoldat nach Europa, erlebte jedoch die Befreiung mehrerer Konzentrationslager. Nach seiner Entlassung aus dem Militär rief ihn jedoch das amerikanische Militärtribunal unter der Leitung von Robert M. Jackson zurück nach Deutschland: Ferencz sollte die Anklage gegen die Kommandeure und Führer der Einsatzgruppen leiten.

Auch nach den Nürnberger Prozessen setzte sich Ferencz weiterhin für den Aufbau eines starken Völkerrechts ein; er gehört zu den Wegbereitern und langjährigen Unterstützern des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (IStGH). Er veröffentlichte zudem mehrere grundlegende Werke zum Thema und lehrte als Professor für Internationales Recht in New York. Am 27. Mai 2010 wurde Benjamin Ferencz für seinen lebenslangen Einsatz für das Völkerrecht im Auswärtigen Amt mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Der Vortrag von Prof. Dr. Ferencz am 28. Mai stieß auf breites Interesse, das Audimax der Humboldt-Universität war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der über 90jährige bedeutende Zeitzeuge des Weltkrieges, wurde Zeuge schlimmster Menschenrechtsverletzungen und erlebte die Sternstunden der Entwicklung des internationalen Völkerrechts. Er referierte u. a. über seine persönlichen Erfahrungen und ausführlich über seine Ermittlungen gegen die NS-Kriegsverbrecher. Zum Abschluss seines Vortrages machte er den Anwesenden Mut, auch weiterhin für internationale Gerechtigkeit und letztlich weltweiten, dauerhaften Frieden zu kämpfen. Er, der gegen die Täter des größten Massenmords der Weltgeschichte ermittelt hat und sie angeklagt hat, sei ein „optimistic realist“ was die Errichtung wirkungsvoller internationaler Strafmaßnahmen gegen Kriegsverbrechen betrifft.

Organisiert wurde dieser Vortrag von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie dem Lehrstuhl Prof. Dr. Werle für deutsches und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Vortrag von Prof. Dr. Benjamin Ferencz im Audimax der Humboldt-Universität (Video)

Donnerstag, 10. Juni 2010

Verlorene Zeiten? Video zur Buchneuerscheinung

Die Herausgeber der Interviewsammlung "Verlorene Zeiten", Alexander Thomas und Cornelia Siebeck, haben ein gutes Stück Arbeit hinter sich: Über 2 Jahre lang dauerte die Arbeit an dem Buchprojekt, bei dem annähernd ein Dutzend Interviewer und die Berliner Fotografin Monique Ulrich mitgearbeitet haben. Historikerinnen und Historiker befragen in diesem Band Menschen aus der ehemaligen DDR zu ihren persönlichen Geschichten: Wie war das Leben in der DDR? Was motivierte sie, sich für oder gegen diesen Staat zu engagieren oder sich mit ihm zu arrangieren? Wie wurde der Zusammenbruch der DDR erlebt? Und wie beurteilen sie Leben und Handeln in der DDR im Rückblick? Zu Wort kommen dabei nicht nur bekannte Persönlichkeiten wie der Politiker Hans Modrow, der Theologe Hans Misselwitz, die Künstler Klaus Kordon, Bert Papenfuß oder André Herzberg (Sänger der DDR-Kultband „Pankow“), sondern auch ein Bergsteiger, eine Kulturbundsekretärin oder eine Altenpflegerin. Insgesamt entsteht eine außergewöhnlich eindringliche, aber auch widerspruchsvolle Momentaufnahme subjektiver Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit 20 Jahre nach dem Mauerfall. In einem sind sich die Interviewten dabei einig: Verlorene Zeiten waren das nicht. Thomas und Siebeck erzählen in dem Video, was sie an der Fragestellung besonders gereizt hat.

Der Euro-Rettungsschirm: Kredite zur Sanierung der Staatsfinanzen oder Begleichung deutscher Kriegsschulden?


(Berlin, 10.06.2010) Seit Anfang Juni ist das Hilfspaket für Griechenland und andere schwächelnde Eurostaaten geschnürt: Von 750 Milliarden Euro bürgt Deutschland mit 148 Milliarden für den größten Anteil. Ob wir das Geld jemals wieder sehen oder ob es unter „Reparationen“ für die Verbrechen des Naziregimes im II. Weltkrieg ver-bucht wird, steht auf einem anderen Blatt. So plötzlich wie diese Frage im Februar 2010 von einigen konservativen Abgeordneten im griechischen Parlament auf die Tagesordnung gesetzt wurde, so schnell war sie auch wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Hinter den Kulissen wird jedoch weiter diskutiert, gestritten und gepfändet, vermutlich bis zur Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) 2011. Die Bundesregierung hatte das Gericht Ende 2009 angerufen, nachdem Opferanwälte aus Griechenland in Italien Immobilien und Vermögen der Bundesrepublik gepfändet hatten. Der IGH hat nun die Aufgabe, zu klären, ob Deutschland Griechenland und anderen ehemals besetzten Staaten Reparationen für die Verbrechen und Zerstörungen des II. Weltkriegs schuldig geblieben ist; eine völkerrechtliche Frage, deren Klärung ganze Aktenkilometer füllt.

Die Bundesregierung versucht sich mit juristischen Winkelzügen aus der Verantwortung zu ziehen. So wurde peinlich genau vermieden, den 2+4 Vertag einen Friedensvertrag zu nennen, da nach einem Abkommen von 1953 die Frage der Reparationen mit der Wiedervereinigung und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages wieder aktuell werden würde. Und überhaupt seien die Ansprüche der Opfer des II. Weltkriegs heute verjährt. Wann verjährt aber Mord und lässt sich beispielsweise im griechischen Fall der Mord an 218 unschuldigen Menschen, wie in der griechischen Ortschaft Distomo geschehen, in Geld aufwiegen? Vor griechischen und italienischen Gerichten haben die Opfer und Angehörige der Opfer von Distomo bereits Entschädigungsansprüche erstritten. Als die Bundesregierung die Zahlungen mit dem Verweis auf die Immunität von Staaten verweigerte, setzten die Opferanwälte die Pfändung von Vermögen der Deutschen Bahn in Italien und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die in deutschem Staatseigentum stehende Villa Vigoni durch. Der Gerichtshof wird vermutlich 2011 entscheiden, ob die Opfer von Distomo Anspruch auf Entschädigung haben, wie sie ehemaligen NS-Zwangsarbeitern mit der Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im Jahr 2000 zugestanden wurde.

Die Krux des Verfahrens liegt darin, dass eine Klage von Privatpersonen gegen einen Staat nicht möglich ist. Theoretisch müssten die Opfer von 1944 die Täter von damals verklagen. Verwirft der IGH diese Auffassung, wie die italienischen und griechischen Gerichte vor ihm, haben die Opfer von Distomo oder ihre Angehörigen gute Aussichten Entschädigungszahlungen zu erhalten. Die Zeit arbeitet jedoch gegen sie.

Leichter haben es die Italiener, deren Regierungsvertreter Reparationen für die Zeit der deutschen Besatzung gefordert haben. Käme es zum Prozess, stünde ein Völkerrechtssubjekt einem anderen gegenüber. Die Frage der Reparationen müsste dann neu entschieden werden. Mit den Entschädigungsforderungen der Opfer von Distomo hängt sie nur durch die Nutzung des „Trittbrettfahrereffekts“ zusammen. Die Gegenüberstellung beider Forderungen macht jedenfalls deutlich, dass die Recht-sprechung und Gerechtigkeit verschiedene Dinge sind.

Martina Lehnigk

Dienstag, 8. Juni 2010

Wie finster war das Mittelalter in Berlin wirklich?


Interview mit der Autorin des Buches „Civitas Berolinensis. Geschichtstouren zu den Anfängen der Hauptstadt

1. Frau Kühnel, Ihr Buch "Civitas Berolinensis. Geschichtstouren zu den Anfängen der Hauptstadt" ist letzte Woche erschienen. Wieso ist das Mittelalter in Berlin so spannend?

Beim Stichwort Berlin denken die meisten Menschen zuerst an die Kaiserzeit oder an die Teilung der Stadt. Dass die Metropole Berlin jedoch viele hundert Jahre älter ist und aus zwei kleinen Siedlungen, Berlin und Cölln, erwachsen ist, ist für viele kaum vorstellbar – und tatsächlich hat Berlin noch einige mittelalterliche Sehenswürdigkeiten zu bieten, zum Beispiel die Stadtmauer, die Heilig-Geist-Kapelle oder die Ruine des Franziskanerklosters. Diese und viele weitere Stationen sind in meinem Buch zusammengefasst in drei Geschichtstouren zu Berlin, Cölln und Spandau, mit denen man auf Entdeckungsreise gehen kann.

2. Was war das größte Problem bei den Recherchen?

Die schriftliche Quellenlage zum Mittelalter im Berliner Raum ist im Vergleich mit anderen Städten eher dürftig. Nicht mal eine Gründungsurkunde von Berlin oder Cölln existiert. Daher versuchen Archäologen seit vielen Jahren und aktuell mit den Ausgrabungen um den Petri- und Schlossplatz neue Erkenntnisse zu gewinnen, die ich in mein Buch habe einfließen lassen.

3. Sie stellen in „Civitas Berolinensis“ unterschiedliche Touren mit vielen Stationen mittelalterlicher Überreste vor. Welche Station ist für Sie besonders faszinierend?

Die gesamte Tour durch das mittelalterliche Cölln auf der Fischerinsel steht im besonderen Kontrast zum heutigen Stadtbild – mehrspurige Straßen, Verkehrslärm, Wohnblocks monoton aneinandergereiht. Auch ich als Historikern konnte es auf meinen Recherchetouren manchmal kaum glauben, dass hier das Zentrum Berlins gelegen haben soll. Umso wichtiger ist es, diese Gegend als historische Mitte angemessen zu würdigen und den Menschen in Erinnerung zu rufen.

4. Für wen ist dieses Buch besonders interessant?

„Civitas Berolinensis“ richtet sich an ein geschichtsinteressiertes Laienpublikum – vom Schüler bis zum Rentner, das Buch bietet mittelalterliche Geschichte zum Entdecken für jedermann. Es ist anschaulich bebildert und durch Kartenmaterial, eine Zeittafel und weitere Ausflugstipps im Berliner Raum ergänzt.