Sonntag, 27. März 2011

Die Verletzbarkeit der Identität


Seit letztem Herbst gibt es in Deutschland einen neuen Personalausweis, der nach wie vor umstritten ist. Die in dem Dokument festgehaltenen biometrischen Daten sammeln in einem Ausmaß Informationen über jeden, der die Dystopie vom gläsernen Menschen in neue Dimensionen rückt. Biometrie heißt: Den Menschen vermessen. Dass mit dem Ausweis auch Internetgeschäfte sicherer gemacht werden können, hat der Chaos Computer Club unlängst widerlegt. Die Verantwortlichen im Bundesinnenministerium glauben zwar immer noch daran, dass der Ausweis fälschungssicher ist, kann aber offensichtlich auch nicht die 100%ige Sicherheit garantieren. Es bleibt dabei, dass jeder sensibel mit seinen Daten umgehen muss.

Die Szenarien, die mit den biometrischen Daten im Reisepass und im Personalausweis dokumentiert sind, lassen nichts Gutes erwarten. Auch wenn es praktisch vom Gesetzgeber in Deutschland nicht vorgesehen ist, könnten die Daten genutzt werden, um jede Person überall - etwa auch durch Überwachungskameras - identifizierbar zu machen. Die eindeutige Identifizierbarkeit eines Menschen soll angeblich mehr Sicherheit bringen - in Zeiten des Terrorismus kann die Politik damit vieles durchsetzen. Doch wie viel Privatsphäre ist dann noch möglich? Oder: Welchen Wert hat es, wenn Menschen eben nicht total erfasst und identifizierbar sind?
Diese Debatte kann auch unter Verweis auf die Geschichte geführt werden, wie es jüngst Thomas Claes in seinem Buch "Passkontrolle" getan hat. Er zeigt darin, wie sehr Anonymität und eben die Nicht-Identifizierbarkeit von Menschen zu einem hohen Gut der Demokratie geworden ist - nach vielen Erfahrungen, in denen die Identifizierbarkeit gleichzusetzen war mit dem Ausgrenzen, Aussondern und schließlich Ausmerzen. Das ist gewiss eine Keule, wenn man mit der NS-Zeit erneut auch aktuelle Entwicklungen im Passwesen bewerten will. Aber die historische Dimension zu berücksichtigen, würde der Debatte über Datensicherheit, Erfassung von biometrischen Daten und den Umgang damit in Identifikationsdokumenten einiges an Tiefe geben.

Mehr zum Thema: Thomas Claes, Passkontrolle! Eine kritische Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens, Berlin 2010