Freitag, 30. März 2012

„Makom tov – der gute Ort“ – oder wieso wir jüdische Friedhöfe als Erinnerungsorte brauchen

Es war keine große Veranstaltung, letztlich ein Ereignis, das eins von vielen an diesem Tag war. Am 28. März 2012 wurde das Buch „Makom tov – der gute Ort“ in Berlin vorgestellt, indem die Geschichte des vergessenen jüdischen Friedhofs von Frankfurt/Oder aufgearbeitet und dokumentiert wird.
Rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten gespannt den einleitenden Worten Stephan Felsbergs vom Institut für angewandte Geschichte über die Geschichte des Friedhofs und der Geschichte seiner Wiederentdeckung. Der traditionsreiche Friedhof, der NS-Zeit und den II. Weltkrieg sogar noch relativ unbeschadet überstanden hatte, geriet nach 1945 schnell in Vergessenheit. Der Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt, zudem auch der Friedhof gehörte, befand sich nach der Westverschiebung der deutsch-polnischen Grenze auf polnischem Boden und wurde zum polnischen Słubice. Dessen Bewohner, die zum überwiegenden Teil in der Stadt neu angesiedelt wurden, hatten keinen unmittelbaren Zugang zu der deutsch-jüdischen Geschichte des Friedhofs. Die deutsche Bevölkerung Frankfurts hingegen, die im westlichen Teil der Stadt verblieben war, konnte bis in die 1970er-Jahre nur mit einem Visum über die Oder gelangen. Auch existierte nach 1945 keine jüdische Gemeinde in der Stadt mehr, die die Gräber hätte pflegen und das Gedenken an die Angehörigen aufrechterhalten können. Das Buchprojekt „Makom tov – der gute Ort“ versucht diese Lücke im Gedächtnis der Region zu schließen und erinnert sowohl auf Polnisch, als auch auf Deutsch an die Geschichte des Friedhofs.

Friedhöfe als Träger kultureller Funktion und ihre Bedeutung als historische Quelle

Der Verlust der jüdischen Tradition in der Region und die ungünstige Lage im deutsch-polnischen Grenzgebiet hatten für den Friedhof schwerwiegende Folgen. In den 1970er-Jahren wurde auf dem Gelände ein Hotel mit einem großen Parkplatz errichtet. Dafür wurden weite Teile des Friedhofs planiert, Gräber zerstört und unter einer dicken Schicht Erde begraben. Dieser Verlust der letzten verliebenden Überreste jüdischer Kultur in der Region wirkt umso schlimmer, wenn man sich die Bedeutung von Friedhöfen in der jüdischen Kultur vor Augen führt. Der Religionswissenschaftler Dr. Nathanael Riemer erklärte eindrücklich, dass Friedhöfe in der jüdischen Kultur sowohl wichtige kollektive, als auch individuelle Funktionen erfüllen. Sie sind Ort der Trauerbewältigung und sollen den Toten Ruhe und Schutz gewähren, indem sie diesen einen sicheren Raum bieten und sie vor ritueller Verunreinigung schützen. So darf auf jüdischen Friedhöfen weder Getrunken oder Gegessen werden, noch dürfen die Gräber betreten werden. Die Angehörigen und die Gemeinde sind für die Pflege und die Instandhaltung der Gräber zuständig. Diese gelten als ewiges Eigentum der Verstorbenen und werden nicht eingeebnet oder aufgelöst. Auch auf die Bedeutung von Friedhöfen als historische Quelle verwies Dr. Riemer. Denn mit Hilfe der Grabinschriften ließen sich soziale Beziehungen und Migrationsbewegungen rekonstruieren.

Der Verfall und die Wiederentdeckung des Friedhofs

Der Hauptautor des Buches Eckhard Reiß hatte als Fernmeldetechniker bereits in den 1960er-Jahren die Möglichkeit, auf die polnische Seite der Oder zu gelangen. Er stieß dabei 1965 auf den ehemaligen jüdischen Friedhof Frankfurts und machte dort auch einige Fotos von den noch weitestgehend erhaltenen Grabanlagen. Erst mit dem Hotelbau 1975, das später in ein Bordell umfunktioniert wurde, wurden große Teile des Friedhofes zerstört und die Friedhofsmauer abgebrochen. In den 1990er-Jahren wurden verschiedene Rabbiner auf den ehemaligen jüdischen Friedhof aufmerksam, da auf diesem der bedeutende jüdische Gelehrte Yosef Theomim begraben ist. Zusammen mit Eckhard Reiß wurde daraufhin versucht, den Ort des Grabes Theomims mit Hilfe von historischen Fotografien zu rekonstruieren, was nur unter großem Aufwand gelang. Heute steht ein neuer Grabstein an der Stelle, an der Yosef Theomim vor mehr als 200 Jahren beerdigt worden war. Das ehemalige Hotel auf dem Gelände wurde abgerissen, der Friedhof wurde der jüdischen Gemeinde in Stettin übergeben und 2007 in das Eigentum der Warschauer Stiftung zum Schutz jüdischen Erbes überführt. In dem Buch „Makom tov – der gute Ort“ wurde die Geschichte des Friedhofs nun detailliert aufgearbeitet und fotografisch dokumentiert. Auch wurden die bisher wieder entdeckten Grabsteine systematisch in einem Register erfasst und deren hebräische Inschriften auf Deutsch und Polnisch übersetzt.
Im Anschluss an den Vortrag diskutierte das Publikum lebhaft, wie die Zukunft des Friedhofs gestaltet werden könnte. Zwar hat das Projekt „Makom tov“ den ersten Schritt getan, um auf die Geschichte des Friedhofs aufmerksam zu machen, doch wirkt dessen Vergangenheit bis heute nach: Denn keine Institution fühlt sich für die Pflege und den Erhalt des Friedhofs zuständig, weder auf der deutschen, noch auf der polnischen Seite der Oder. Würde man diesen Ort als gemeinsamen deutsch-jüdisch-polnischen Erinnerungsort wahrnehmen, könnte er ein integrierendes Element dieser Region werden und die Gemeinsamkeiten stärken. Es bleibt abzuwarten, ob sich engagierte Bürgerinnen und Bürger finden, die das in die Hand nehmen wollen…

Lars Diedrich

"Wie werde ich Terrorist?"

Buchpräsentation, Vortrag und Diskussion zum Thema RAF mit Martin Kowalski 

Am 4. April 2012 wird Martin Kowalski sein im Vergangenheitsverlag erschienenes Buch "Aber ich will etwas getan haben dagegen!. Die RAF als postfaschistisches Phänomen" präsentieren, einen Kurzvortrag halten und anschließend mit dem Publikum diskutieren. Es geht dabei um die Geschichte der RAF - aber eben auch um die Frage: Wieso entwickelten sich die Akteure der RAF zu Terroristen?

Mittwoch, 4. April 2012, 19.30 Uhr
Mukkefukk
Wrangelstraße 95 (U-Bhf. Schlesisches Tor)
10997 Berlin

Vergangenheitsverlag, Berlin

www.vergangenheitsverlag.de

Donnerstag, 22. März 2012

Das Deutsche Historische Museum eröffnet seine Ausstellung zum Friedrich-Jahr 2012

In seinem Beitrag zum Friedrich-Jahr 2012 der Ausstellung „Friedrich der Große. Verehrt. Verklärt. Verdammt“ führt das Deutsche Historische Museum durch die über 200-jährige Rezeptions- und Wirkungsgeschichte nach dem Tod des preußischen Königs 1786. Mit musikalischer Umrahmung und Grußworten von Staatsminister Bernd Neumann sowie von Georg Friedrich Prinz von Preußen, Chef des Hauses Hohenzollern, wurde die Ausstellung am 20. März 2012 eröffnet.
Der etwas andere Blick auf Friedrich II.
Die historische Figur Friedrich II. mit all seinen Widersprüchlichkeiten erfährt in diesem Jahr, seinem 300. Geburtstag, hohe Aufmerksamkeit. Vor allem in Potsdam und Berlin widmen sich viele Ausstellungen, Feierlichkeiten und wissenschaftliche Veranstaltungen der Person und dem Wirken Friedrichs des Großen. Das Deutsche Historische Museum stellt in seiner Ausstellung weniger die Person selbst, als vielmehr deren sich wandelnde Rezeptionsgeschichte in den Mittelpunkt und eröffnet dadurch neue und differenzierte Perspektiven auf den Alten Fritz, so Prof. Dr. Alexander Koch, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, in seiner Begrüßungsrede. Seit über zwei Jahrhunderten ranken sich schließlich die unterschiedlichsten Bilder und Mythen um Friedrich II. Im 19. Jahrhundert verehrt, im Kaiserreich und während der NS-Zeit verklärt, nach 1945 zunächst verdammt und dann vorsichtig wiederentdeckt dies sind die Wegmarken, die den Besucher durch die 13 Ausstellungsräume lenken, erklärte die Kuratorin Dr. Leonore Koschnick.

Verehrt – verklärt – verdammt, aber stets präsent

Ausgehend von der Inszenierung im Portrait geht es über die literarische Rezeption zur verstärkt Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzenden öffentlichen Ehrenerweisung durch Denkmäler und Monumente. Wie zahlreiche Sammlerstücke und kleine Statuetten des Königs zeigen, machte die Huldigung seiner Person auch vor den Wohnzimmern des Bürgertums keinen Halt. Unterstützt wurde die öffentliche und private Traditionspflege des 19. Jahrhunderts durch die Geschichtsschreibung der Hofhistoriographen Leopold von Ranke und Heinrich von Treitschke. Neben der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte in Kunst und Literatur, setzt die Ausstellung einen weiteren Schwerpunkt im Nachleben des preußischen Königs in Politik und Gesellschaft. Zur politischen Werbeikone stieg Friedrich II. in der Weimarer Republik und der NS-Zeit auf. Die Ausstellung zeigt Propaganda- und Werbeplakate verschiedener Parteien, die bekannte Vorstellungen über die Person Friedrichs II. für ihre Zwecke instrumentalisierten: der Aufklärer, der sparsame Haushälter oder der unerbittliche Feldherr und Landesvater. Auf den Höhepunkt der Heroisierung Friedrichs II. als Kriegsheld folgte nach 1945 eine Zeit der Verdammung, die mit Plakaten der Sowjetunion, Theaterstücken aus der DDR und wissenschaftlichen Publikationen aus West-Deutschland vermittelt wird. Erst zum 280. Jahrestag der Erhebung Preußens zum Königreich 1981 fingen sowohl die Deutschen in der BRD als auch in der DDR wieder an, sich mit Friedrich dem Großen zu beschäftigen.
Die Ausstellung „Friedrich der Große. Verehrt. Verklärt. Verdammt“ des Deutschen Historischen Museums gibt einen interessanten und relativ kurzweiligen Einblick in die Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte des preußischen Königs, der, wie der Historiker Christopher Clark sagt, aufs Ganze gesehen, präsent geblieben ist. Die über 1.000 Besucher der Ausstellungseröffnung bestätigen dies.

Foto: DHM

Donnerstag, 1. März 2012

8. Potsdamer Geschichtsbörse – Ein Rückblick


Am 26. Februar 2012 fand im Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte die 8. Potsdamer Geschichtsbörse statt. Auch der Vergangenheitsverlag war wieder mit einem kleinen, aber feinen Stand anwesend und konnten, gemessen an den verkauften Büchern und der Zahl der Verlagsprogramme, die vom Tisch gingen, einige potenzielle Neu-Leser finden.
Unter der Leitung von Dr. Volker Punzel wird die alljährliche Geschichtsbörse von der Geschichtsmanufaktur Potsdam organisiert, einem Projekt mehrerer historischer Vereine in Brandenburg, die sich der Aufarbeitung des Geschichte Potsdams und Brandenburgs verschrieben haben. Das diesjährige Thema der Börse war ‑ natürlich dem Jubeljahr angemessen ‑ Friedrich II. in Brandenburg. Das Vortragsprogramm beschäftigte sich demnach mit der Person Friedrichs und den Spuren, die er in Brandenburg hinterlassen hat. Unvermeidlich ging es dabei viel um Militärgeschichte, aber auch um Architektur, Hoftanz und nicht zuletzt um die Kartoffel.
In der Historischen Gewölbehalle des ehemaligen Kutschstalls am Neuen Markt stellten sich über dreißig Vereine und Institutionen vor, die sich mit der Geschichte des Landes Brandenburgs befassen. In der einstigen Manege fanden sich Vereine aus Brandenburg und Berlin ein.
Die Potsdamer Geschichtsbörse ist, wie viele andere Veranstaltungen historischer Vereine in Deutschland, mittlerweile zu einem wichtigen Teil der regionalen Geschichtskultur geworden. Solche Veranstaltungen sind es, die das große Interesse der Bevölkerung nähren und gewissermaßen die Geschichte an den Mann und die Frau bringen, sagte Alexander Schug, Verleger des Vergangenheitsverlags beeindruckt von der hohen Besucherzahl der diesjährigen Potsdamer Geschichtsbörse. Damit soll der Forschungsarbeit an den Universitäten keineswegs ein Bedeutungs- oder gar Wertverlust zugeschrieben werden, meinte Schug, selbst aus akademischem Hintergrund kommend, weiter. Das große Geschichtsinteresse der Leute sollte vielmehr zu beidseitiger Kooperation und Verständnis anregen. Für die historischen Vereine bedeutet das, auch ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Geschichte nicht nur aus Kriegen, Königen und anderen wichtigen Persönlichkeiten besteht. Diese Narrative besitzen in der Geschichtswissenschaft schon lange kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sind jedoch in vielen Köpfen Geschichtsinteressierter immer noch fest verankert. Auch die Konsumkultur oder die Kultur des Essens und Trinkens sind erstens interessant und tragen zweitens zum Verständnis  und der Erkenntnis geschichtlicher Entwicklungen und Prozesse bei. Auf der anderen Seite sollten sich aber auch die Universitäten mehr auf die breite Geschichtskultur einlassen und sie beratend unterstützen, so Schug. Wolfgang Hardtwig, Autor von „Verlust der Geschichte – oder wie unterhaltsam ist die Vergangenheit“, 2010 beim Vergangenheitsverlag erschienen, hat dies treffend beschrieben: „Um eine lebendige und kritische Geschichtskultur zu erhalten, muss der Historiker auch außerhalb der Universität als vermittelnder Akteur, dessen maßgebliche Orientierungsgröße das Wahrheitsideal der Wissenschaft ist, auftreten.“
(Amelie Rösinger)