Mittwoch, 26. August 2009

Ringbahnführer Berlin erschienen

Berlin hat einen neuen hot spot: die Peripherie. Was hier am Rande liegt, ist das authentische Berlin, die noch unbekannte, aber spannende und kontrastreiche Hauptstadt. Das stellt ein das neue Buch des Vergangenheitsverlags "Ring frei! Erkundungstour Ringbahn Berlin" vor.
Entlang der Ringbahn (S 41/ S 42) zeigt dieses Ringbuch Berlin abseits des Zentrums. Im Kreis herum geht’s mit der Ringbahn durch ganz Berlin zu 27 Stationen.
Die Tour ist eine kaleidoskopische Stadtfahrt, die Tausende Bilder wie im Rausch zeigt: alte Fabriken und moderne Produktionsstandorte, Plattenbauten und Gründerzeithäuser, Shoppingmalls und Stadtautobahn, den Flughafen Tempelhof, Arbeiterviertel und Szenequartiere, Schlossparks und Schrebergärten. Der Ringbahnführer bietet einen alternativen Blick auf die Metropole Berlin und wirft Schlaglichter auf Geschichte, Kultur, Soziotope und Menschen.

Mit Beiträgen von: Steffi Becker, Stefanie Domann, Sindy Duong, Maja Helene Kersting, Daniel Kirchhof, Beate Klammt, Martha Krüger, Steffi Kühnel, Anna Laws, James McSpadden, Jennifer Schevardo, Alexander Schug, Jasmin Seimann, Cornelia Siebeck, Melanie Troger, Heike Wieters, Sebastian Ziegler

redaktionelle Mitarbeit: Nicola Nymalm

Fotografien von: Aisha Ronniger, Christoph Engelhard, Roman Lihmhavtshuk, Roland Piltz, Cornelia Siebeck


Dienstag, 18. August 2009

Das Notaufnahmelager Marienfelde


Ein Interview mit Bettina Effner, Leiterin der Gedenkstätte

Das Notaufnahmelager Marienfelde war für viele Flüchtlinge aus der DDR und Ost-Berlin die erste Anlaufstelle nach der Flucht. Die 1953 eröffnete Einrichtung bot für rund 2.000 Menschen Platz. Obwohl bis 1961 immer weiter ausgebaut, war das Lager ständig überbelegt. Mit dem Bau der Berliner Mauer versiegte der gewaltige Flüchtlingsstrom schlagartig. Neben Flüchtlingen und vor allem Übersiedlern, die weiterhin aus der DDR kamen, nahm das Lager jetzt auch Aussiedler aus anderen Staaten auf. Von der neuen Flüchtlingswelle 1989 wurde es geradezu überrollt.
Die letzten Flüchtlinge und Übersiedler verließen Marienfelde 1993. Seitdem diente das Notaufnahmelager dem Land Berlin als zentrale Aufnahmestelle für Aussiedler. Zum Jahreswechsel 2008/2009 wurde das Aufnahmelager endgültig geschlossen. Schon im Herbst 1993 wurde der Verein Erinnerungsstätte Notaufnahmelager Marienfelde e.V. gegründet. Er betreibt seitdem eine ständige Ausstellung zur deutsch-deutschen Fluchtbewegung. Am 31. Dezember 2008 hat der Trägerverein die Geschäfte an die Stiftung Berliner Mauer übergeben.
Im Interview: Bettina Effner, Leiterin der Gedenkstätte Notaufnahmelager Marienfelde
1. Was genau erwartet den Besucher in Ihrer Dauerausstellung „Flucht im geteilten Deutschland“ am authentischen Ort?
Die Besucher erwartet eine sehr anschauliche Darstellung verschiedener Stationen, die mit einer Flucht im geteilten Deutschland verbunden waren: Wir zeigen, welche politischen Maßnahmen des SED-Regimes und welche konkreten Konflikte es waren, die zwischen 1949 und 1990 rund vier Millionen Menschen aus der DDR wegtrieben. Wir dokumentieren die immer enger werdenden, nach 1961 oft lebensgefährlichen Wege, die Fluchtwillige nutzten, um die DDR zu verlassen. In einem Raum mit 12 Türen können die Besucher nachvollziehen, wie das Notaufnahmeverfahren für die Flüchtlinge funktionierte. Ein anderer Themenraum ist der Frage gewidmet, wie es nach der Aufnahme im Westen weiterging. Auch über die Maßnahmen, mit denen die Staatssicherheit der DDR gegen das Aufnahmelager vorzugehen versuchte, können sich unsere Besucher informieren.
2. Welches Flüchtlingsschicksal ist Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben? Haben Sie ein Objekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Sehr betroffen hat mich das Schicksal eines Flüchtlings, der als 18-Jähriger durch den Teltowkanal nach West-Berlin entkam, später als Fluchthelfer arbeitete und ausgerechnet bei dem Versuch, seine Schwester in die Bundesrepublik zu bringen, verhaftet wurde. Nach fünf Jahren Gefängnis wurde er freigekauft. In unserer Ausstellung erzählt er seine Geschichte, ebenso wie an vielen Audio- und Videostationen weitere Zeitzeugen von ihren Erfahrungen auf der Flucht und im Notaufnahmelager berichten. Dieser biografische Zugang ist uns sehr wichtig. Ein Exponat, das ich besonders schätze, ist ein Stoffbär, der ganz harmlos aussieht und in unserer Ausstellung wahrscheinlich zunächst überrascht, aber mit einer dramatischen Geschichte verbunden ist: Er diente als Erkennungszeichen für die Fluchthelfer, die einen Vater mit seinen 12 und 13 Jahre alten Töchtern über die Transitstrecke im Kofferraum in den Westen schmuggeln sollten.
3. Wie sah der Alltag der Bewohner im Notaufnahmelager konkret aus?
Der Alltag im Notaufnahmelager war vom Warten bestimmt: Schritt für Schritt mussten sich die Bewohner durch die vorgeschriebenen Stationen des Aufnahmeverfahrens arbeiten, dabei zahlreiche Behördengänge, Befragungen und auch Arztbesuche absolvieren. In den Jahren vor dem Mauerbau waren zudem Enge und Gedrängtheit in den Unterkünften und auf den Fluren charakteristische Erfahrungen. Zu den Hochzeiten des Flüchtlingszustroms in den Fünfzigern meldeten sich vielfach über 100.000 Flüchtlinge pro Jahr in West-Berlin. Der Mauerbau schnitt diese Bewegung radikal ab, so dass es leerer und ruhiger im Notaufnahmelager wurde und hier ab 1964 auch Aussiedler untergebracht werden konnten.
4. Gab es Versuche seitens der DDR auf das Lager einzuwirken, und wie reagierten die West-Berliner Anwohner auf die ankommenden Menschen aus dem Osten?
Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR betrachtete das Notaufnahmelager Marienfelde von Anfang an als ein „Feindobjekt“, weil es aus seiner Sicht mit subversiven Aktionen verbunden war: Als „Lockmittel des Westens“ verleitete es, so meinte das MfS, zahlreiche Menschen aus der DDR zur Flucht oder Ausreise, was vom Gegner dann als „Abstimmung mit den Füßen“ gegen das SED-Regime gedeutet werden konnte. Entsprechend versuchte das MfS, das Aufnahmelager mit allen Mitteln auszuspionieren und zu schädigen. Unter anderem wurden erfolgreich IM eingeschleust, die Namen von Flüchtlingen weitergaben und ihre Fluchtwege und Helfer auskundschafteten. Für die West-Berliner bedeutete der Flüchtlingszustrom zumal in den fünfziger Jahren eine starke Belastung, da sie selbst noch unter den Kriegsfolgen litten. So wurden manchmal Zweifel laut, ob es sich bei allen Ankommenden um „echte“ Flüchtlinge handelte, die tatsächlich auf Grund von politischem Druck die DDR verlassen hatten. Auf der anderen Seite gab es, wie etwa uns vorliegende Spendenbücher zeigen, Solidarität mit den Flüchtlingen, die ihre Freiheit suchten und immer gefährlicher werdende Fluchtwege auf sich nahmen.

Das gesamte Interview ist nachzulesen in dem Buch "Berliner Mauer. Geschichtstouren für Entdecker" des Vergangenheitsverlages.

Donnerstag, 13. August 2009

Historische Aufarbeitung der Schlacht von Kunersdorf sorgt 250 Jahre danach für Unstimmigkeiten

KUNOWICE/FRANKFURT (ODER) - Mit ausgestreckten Armen steht Karl-Christoph von Stünzner auf einem Hügel mitten im weiten Brachland bei Kunowice. „Dort standen die Österreicher“, zeigt der Hobbyhistoriker hinter sich, „da rechts im Wald am großen Spitzberg waren die Russen.“ Von Stünzner weist auf den Reitweiner Sporn am nördlichen Horizont: Von dort kamen die von Friedrich II. befehligten Preußen. Weiterlesen bei der Märkischen Allgemeinen: http://www.maerkischeallgemeine.de/cms/beitrag/11580008/62249/%C2%A0Historische-Aufarbeitung-der-Schlacht-von-Kunersdorf-sorgt-Jahre.html

13. August 1961 - der Mauerbau beginnt


Alljährlich wird dieser Tag in der bundesrepublikanischen Gedenkkultur mit allerlei Kranzniederlegungen und vielen Reden begangen: der 13. August 1961, der Tag, als der Bau der Berliner Mauer begann. Volkspolizisten riegeln die Grenzen zum Sowjetsektor ab. Seit dem frühen Morgen wird mitten in Berlin das Straßenpflaster aufgerissen, werden Asphaltstücke und Pflastersteine zu Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle eingerammt und Stacheldrahtverhaue gezogen. Fassungslos stehen sich die West-Berliner auf der einen, die Ost-Berliner und Bewohner des Umlandes auf der anderen Seite an der Sektorengrenze gegenüber. Auf der Ostseite halten Kampfgruppen und Volkspolizei die Umstehenden mit Maschinengewehren in Schach, im von den West-Alliierten kontrollierten West-Berlin schirmt die Polizei die Grenzanlagen vor den aufgeregten Bürgern ab. Die Bundeszentrale für politische Bildung hat gemeinsam mit dem Deutschlandradio einige interessante Radiobeiträge aus dieser Zeit zusammengestellt, wie bspw.: RIAS-Bericht vom Brandenburger Tor, 13. August 1961

Ost und West hatten und haben teils bis heute ihre eigenen Lesarten dieses Ereignisses. Geschichte ist Interpretation: Für den Osten war die Mauer im offiziellen Jargon ein "Bollwerk gegen den Kapitalismus", eine notwendige Schutzmaßnahme vor den "Imperialisten". Für den Westen war die Mauer das menschenverachtende Symbol der Unfreiheit, ein Bauwerk, an dem zahlreiche Menschen ihr Leben ließen.

Dieser Tage ist die Anzahl der Mauertoten wieder Gesprächsthema. Viele Medien berichten darüber, so auch der Berliner Tagesspiegel, der schreibt: "Der Historiker Hans- Hermann Hertle hat am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung allein für die Berliner 133 Todesfälle recherchiert und dokumentiert. Die Liste der Mauertoten beginnt mit Ida Siekmann, die am 22. August 1961 ums Leben kam: Sie sprang aus der dritten Etage ihrer Wohnung in der Bernauer Straße auf den zum Westen gehörenden Bürgersteig und stürzte sich dabei zu Tode. Die Liste endet mit Winfried Freudenberg, der mit einem Gasballon aus der DDR floh. Am 8. März 1989 erlitt er – schon über West-Berliner Stadtgebiet – beim Absturz des Ballons tödliche Verletzungen." (siehe Tagesspiegel-Artikel: Mehr Mauertote als bislang bekannt).

Interessant ist, dass die Zahl der Mauertoten immer wieder als Gradmesser der Brutalität des DDR-Regimes gedeutet wird. Alexandra Hildebrandt, umstrittene Direktorin des Museums am Checkpoint Charlie, kommt auf eine wesentlich höhere Zahl. Auch sie ließ pünktlich zum Gedenktag 13. August ihre Zahlen verbreiten und kommt auf ca. 100 weitere Toten.
Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat den Streit um die Opferzahlen an der Berliner Mauer kritisiert (siehe Bericht der Deutschen Welle: Neumann kritisiert Streit um Mauertote). Dieser Streit sei kleinlich - Recht hat er, letztlich sagen die Zahlen nichts über das Schicksal der einzelnen aus. Was dieses Bauwerk für die Menschen bedeutet hat, wie sehr es viele von einem Leben in Freiheit abhielt, wie groß der Drang nach Überwindung der Mauer wurde, so sehr, dass man sein eigenes Leben aufs Spiel setzte - davon erzählt beispielsweise der Fall des Chris Gueffroy. Die offene Frage ist: Was machen wir heute mit der Erinnerung an diese Ereignisse?

Sonntag, 9. August 2009

Das Sowjetische Ehrenmal in Treptow


Erinnerungsorte gibt es in Berlin an jeder Ecke, es gibt so viele, dass sich jeder seine Erinnerung zusammenbasteln kann. Manche Erinnerungsorte gehen über die Jahre verloren - wie der Palast der Republik, der nicht mehr in die offizielle Gedenkpolitik der Bundesrepublik passte und nach langwierigen Diskussionen abgerissen wurde. Einer der Erinnerungsorte, die nicht so bekannt sind, ist das russische Kriegsmahnmal (auch sowjetisches Ehrenmal) in Berlin-Treptow, direkt im Treptower Park. Für manche ist das ein gespenstisches Monument (http://www.carpeberlin.com/deutsch/web/news-single/article/transkription-das-sowjetische-ehrenmal-im-treptower-park/), man kann sich diesem ort jedoch auch unvoreingenommener nähern, schließlich: der Kalte Krieg ist vorbei.

Eingeweiht wurde das Ehrenmal am 8. Mai 1949, dem 4. Jahrestag des Kriegsendes. Bei der Zeremonie ließ Otto Grotewohl, einer der beiden Vorsitzenden der SED und spätere Ministerpräsident der DDR, wissen:
„Wir danken der ruhmreichen Sowjetarmee, die uns von der Geißel der Menschheit, dem Faschismus, befreit hat. Das Gelöbnis von Millionen Proletariern lautet in dieser Stunde: für Demokratie, Frieden und Sozialismus zu kämpfen.“
Das Ehrenmal hatte in der DDR eine symbolische Bedeutung, die heute vergessen ist. Die 1-Mark-Briefmarke bildete das Ehrenmal ab. Anlässlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes wurde eine Sondermarke herausgegeben. In der Sowjetunion war Wutschetitschs Befreier auf der 1-Rubel-Münze abgebildet - Pobieda nad faschistskoi germaniei – Sieg über das faschistische Deutschland. So wurde ein deutliches Geschichtsbild immer weiter tradiert, Herrschaftsverhältnisse - auch die moralischen - in der Öffentlichkeit kommuniziert.
Es lohnt sich einmal einen ausflug dorthin zu machen. Wer mehr Informationen dazu sucht, kann sich vorab ein Video von carpeberlin angucken: http://www.youtube.com/watch?v=PG-QoOjomcc

Cornelia Siebeck bespricht ausführlicher im Buch "Ring frei! Erkundungstour Ringbahn Berlin" in einem Kapitel dieses Ringbahnführers auch das sowjetische Ehrenmal.

Bullrich-Salz: Marke · Mythos · Magensäure


Zwar haben wir unsere eigenen Bücher zur Geschichte, aber immer wieder finden wir interessante Bücher, die wir weiterempfehlen. Konsum, Konsumgesellschaft, Konsumismus, die Welt der Marken - all das ist ein dominantes Signum unserer Zeit, die Information und Auseinandersetzung darüber klärt auch über unser aktualles Denken auf. Marken sind Teil unseres Alltags, wir leben mit ihnen, sie begleiten uns, ihre Botschaften werden über die Jahre zu vertrauten Versprechungen - teils ungefiltert, manchmal bewusster bestimmen sie unser Verhalten. Matthias Gerschwitz hat die Geschichte eines Markenartikels aufgeschrieben: "Bullrich-Salz - Marke - Mythos - Magensäure" heißt sein Buch, das nicht die Dekonstruktion der Markenwelt zum Ziel hat, aber doch anschaulich zeigt, wie Marken gemacht werden und wie eng sie mit unserem Leben verknüpft sind.

Auf 228 Seiten folgt der Autor den Spuren eines der ältesten deutschen Markenartikel; Bullrich-Salz wurde 1827 vom Apotheker I. Klasse August Wilhelm Bullrich in Berlin erfunden. Auf dem Weg der Marke durch Kaiserreich, Weimarer Republik und Nationalsozialismus bis zur heutigen bundesdeutschen Demokratie zeichnet er zugleich Firmen-, Familien- und Sozialgeschichte nach. Er führt den Leser durch Familienfehden (zwischen A. W. Bullrich auf der einen und seinem älteren Bruder Carl Wilhelm Bullrich auf der anderen Seite), Erbstreitigkeiten, Betrug, Mobbing, Beleidigung, Rechtsstreitigkeiten um Warenzeichen – und sogar einen Mord.

Selbst als Fallstudie für erfolgreiches Marketing kann die Bullrich-Historie heute noch dienen. Das Thema „Integrierte Unternehmenskommunikation“ lässt sich anschaulich am Beispiel der über 180jährigen Geschichte darstellen: Von 1863 bis 1920 währt der erbitterte Kampf der beiden Firmen, die sich nur graduell im Firmennamen unterschieden - A. W. Bullrich und C. W. Bullrich. Beide Unternehmen verkaufen ein Produkt, das Original Bullrich’s Reinigungs-Salz heißt. Da es noch keinen Markenschutz gibt (der wird erst 1894 gesetzlich verankert), ist das möglich. Nach 1895 werden die Streitigkeiten auf anderen Feldern ausgetragen.

Mehr dazu: http://www.berliner-geschichten.com/bucher/bullrich-salz/