Das Buch von Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz
Buschkowsky "Neukölln ist überall" wirbelt derzeit viel Staub auf in
der Republik. In seinem Buch schreibt er über gescheiterte Integrationspolitik
und Jugendkriminalität. Buschkowsky tingelt damit durch die Talksendungen des
Landes und versteht nicht, weshalb er - seit über einer Dekade in politischer
Verantwortung für seinen Bezirk - für sein Buch angegriffen wird. Wir sprachen
mit Bernd Kessinger, Autor eines Neukölln-Buches, das die Geschichte des
Bezirks beleuchtet und die gängigen Klischees dabei bewusst aus dem Weg räumen
wollte:
Neukölln ist wieder in aller Munde. Der Bucherfolg von
Bezirksbürgermeister Buschkowsky hat dazu maßgeblich beigetragen. Wann glauben
Sie ist die nächste Namensumbenennung des Bezirks fällig?
1912 wurde die damals noch eigenständige Großstadt Rixdorf
in Neukölln umbenannt, aus dem gleichen Grund, der auch heute wieder beklagt
wird: Das schlechte Image. Damals haftete dem Ort der Ruch einer zutiefst
proletarischen, heruntergekommenen Gegend an, daneben war Rixdorf für sein
bierseliges Massenamüsement für die unteren Volksschichten weit über Berlin
hinaus bekannt. Auch der Ruf als „rote“ Hochburg bereitete der kleinen
bürgerlichen Elite Kopfschmerzen.
Natürlich löste die Namenskosmetik nicht die
zugrundeliegenden sozialen Probleme. Dafür zog Rixdorf-Neukölln den Spott und
die Häme der Karikaturisten des gesamten deutschen Reiches auf sich.
Die Erfahrungen mit der Umbenennung waren insgesamt nicht
sehr positiv. Ich denke also, dass uns eine Wiederholung nicht bevorsteht.
Buschkowsky beklagt ein fehlendes Heimatgefühl in Neukölln.
Was kann er damit meinen?
Heimat ist ja ein schwieriger Begriff. Es stimmt natürlich,
dass der rasante Zustrom vorwiegend muslimischer Migranten nach 1989 den
Charakter Neuköllns schwerwiegend verändert hat. Dass da Teile der
einheimischen Bevölkerung die Welt nicht mehr verstanden, finde ich durchaus
nachvollziehbar. Dennoch hantiert Buschkowsky mit einem sehr altbackenen, fast
schon deutschtümelnden Heimatbegriff, der völlig ausblendet, dass Neukölln für
den Großteil der Zugewanderten inzwischen auch zur Heimat geworden ist. So eine
eingeschränkte Sichtweise steht ihm als Bürgermeister, der ja alle
Einwohnerinnen und Einwohner vertreten soll, nicht gerade gut zu Gesicht. Zudem
zeigt sich in der Person Buschkowsky der gravierende Unterschied zwischen
dem größtenteils vorstädtischen Süden und dem urbanen Norden des
Bezirks. Er – der geborene Südneuköllner – verkörpert ja geradezu den
provinziellen Kleinbürger. Sich darüber zu beklagen, dass man in Neukölln kaum
noch eine Currywurst findet, erinnert schon stark an eine volkstümliche
Traditionspflege á la Bayern.
Ist Buschkowskys mediales Neukölln-Bashing eigentlich ein
neues Phänomen?
Überhaupt nicht. Um 1900, dann, zur Zeit der Revolution
1918/19, aber auch danach war Rixdorf-Neukölln immer wieder Zielscheibe
medialer Skandalisierungen. „Ausländer“ brauchte es dazu nie.
Was war Ihnen in Ihrem Buch denn wichtig über Neukölln zu
sagen?
Ein wichtiges Anliegen war es mir, die lokale Kontinuität
sozialer Ungleichheit und Ausgrenzung sichtbar zu machen. Dazu gehört natürlich
auch deren Wiederhall in der Presse. In einer Zeit, in der die Ethnisierung
sozialer Konflikte Konjunktur hat, kann so ein Blick in die Vergangenheit
manches relativieren. Zudem hat Neukölln in seiner Geschichte einiges mehr zu
bieten, was unser Interesse verdient, als unter den beiden Polen
„Problemviertel“ und „Szenekiez“ Platz findet.
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