Donnerstag, 5. April 2012

Der Organisator der Gaswagenmorde oder: Wer war Walther Rauff?



Buchvorstellung in der Topographie des Terrors (Bericht von Lars Diedrich)

Wie wird man, was man wird, und wie wird man damit fertig? Diese Frage stellte sich Heinz Schneppen, als er die Biographie von Walther Rauff rekonstruierte. Sie leitete ihn bei der Recherche über das Leben eines Mannes, der – als ganz „normaler Deutscher“ - maßgeblich an der Entwicklung von mobilen „Gaswagen“ im Nationalsozialismus beteiligt war, und sich der Verantwortung seiner Taten Zeit seines Lebens entzog, indem er nach Südamerika floh.

Bereits zum dritten Mal innerhalb von sechs Jahren stellte Schneppen in den Räumen der Stiftung Topographie des Terrors ein neues Buch vor. Diesmal betonte der bereits 80-jährige Autor allerdings, dass es nun das letzte Mal sei. Mit „Walther Rauff. Organisator der Gaswagenmorde. Eine Biographie“ setzt Schneppern seine Forschungen zur Geschichte der SS und ihrer Mitglieder nach „Odessa und das Vierte Reich“ (2007) und „Ghettokommandant in Riga. Eduard Roschmann.“ (2009) fort.

Walther Rauff wurde 1906 in Köthen in Anhalt als Sohn eines Bankprokuristen geboren. 1924 trat er der Reichsmarine bei und brachte es dort bis zum Kapitänsleutnant. 1937 trat er aufgrund der Scheidung von seiner Frau aus der Wehrmacht aus. Über eine Empfehlung seines ehemaligen Marine-Kameraden Dieter von Jagow bei Reinhard Heydrich gelangte Rauff 1938 in die SS. Dort wurde er im Reichssicherheitshauptamt in der Abteilung Technik eingesetzt. Im Auftrag Heydrichs entwickelte er „Gaswagen“, mit denen die SS die Nerven ihrer Erschießungskommandos schonen wollte, und mit denen schließlich mindestens 500.00 Menschen ermordet wurden. Die Lastwagen waren so konstruiert, das die Abgase über einen Hahn direkt in den eigens dafür konstruierten, luftdichten Aufbau geleitet wurden. Mit diesen Wagen wurden die Opfer abgeholt und während der Fahrt zur jeweiligen Beerdigungsstätte umgebracht. Oft fuhren die Wagen dabei direkt durch Stadtgebiete.

Anhand von CIA-Berichten und den Aussagen ehemaliger SS-Mitglieder rekonstruierte Heinz Schneppen Rauffs weiteren Lebensweg. Dieser floh 1946 mit Unterstützung – man staune - der katholischen Kirche aus US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft in den Nahen Osten. Dort war er bereits während des Krieges stationiert gewesen. Seine Erfahrungen und Kontakte aus dem Krieg legten den Grundstein für seine neue Tätigkeit: Er arbeitete für den syrischen Geheimdienst, für den Vorläufer des Mossad, den BND und den britischen Geheimdienst. Anfang der 1950er-Jahre setzte er sich dann nach Chile ab.

1960 leitete die Staatsanwaltschaft Hannover ein Ermittlungsverfahren gegen das ehemalige SS-Mitglied Rauff ein und erließ einen Haftbefehl. Die Bundesrepublik Deutschland stellte daraufhin einen Auslieferungsantrag an Chile. Diesem wurde aber nicht stattgeben, da die Tat Rauffs nach chilenischem Recht bereits verjährt war. Auch spätere Versuche von Beate Klarsfeld und Simon Wiesenthal, die chilenische Regierung zur Auslieferung Rauffs zu bewegen, scheiterten, so dass Walther Rauff unbehelligt 1984 in Chile starb.

Doch wie ist Rauff mit seiner Vergangenheit fertig geworden? Anscheinend sehr gut. Denn bis zu seinem Tod bereute er seine Taten nicht. Er verwies stattdessen auf den Befehl Heydrichs und dass er keine andere Möglichkeit gehabt habe, als diesen auszuführen. Die Bundesrepublik bezahlte ihn bis in die 1960er-Jahre als Informant für den BND. Bei seiner Beerdigung in Chile nahmen über 400 Menschen Teil, darunter der chilenische Ex-Botschafter Miguel Serrano, der Walther Rauff mit Hitler-Gruß und einem „Sieg Heil“ am Grabe verabschiedete.

Der ehemalige Diplomat Heinz Schneppen hat mit der Biographie einen interessanten Beitrag zur Geschichte des Nationalsozialismus geliefert. Detailliert und anhand zahlreicher Geheimdienst- und Gerichtsakten hat er die Vergangenheit Walther Rauffs und dessen Rolle als kleines, aber maßgebliches Rädchen im der nationalsozialistischen System aufgearbeitet. Spannender aber noch erscheint das, was nach 1945 passierte. Rauffs Biographie ist auch ein Lehrstück darüber, wie unbehelligt NS-Täter sogar mit Hilfe namhafter Persönlichkeiten und Institutionen ein ganz normales Leben weiter führen konnten. Erneut tauchen hier Fragen an den BND auf. Um so spannender wird dessen Geschichtsaufarbeitung sein, die nunmehr sogar in Angriff genommen worden ist: http://www.taz.de/!67919/



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