Rund 40 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten gespannt den einleitenden Worten Stephan Felsbergs vom Institut für angewandte Geschichte über die Geschichte des Friedhofs und der Geschichte seiner Wiederentdeckung. Der traditionsreiche Friedhof, der NS-Zeit und den II. Weltkrieg sogar noch relativ unbeschadet überstanden hatte, geriet nach 1945 schnell in Vergessenheit. Der Frankfurter Stadtteil Dammvorstadt, zudem auch der Friedhof gehörte, befand sich nach der Westverschiebung der deutsch-polnischen Grenze auf polnischem Boden und wurde zum polnischen Słubice. Dessen Bewohner, die zum überwiegenden Teil in der Stadt neu angesiedelt wurden, hatten keinen unmittelbaren Zugang zu der deutsch-jüdischen Geschichte des Friedhofs. Die deutsche Bevölkerung Frankfurts hingegen, die im westlichen Teil der Stadt verblieben war, konnte bis in die 1970er-Jahre nur mit einem Visum über die Oder gelangen. Auch existierte nach 1945 keine jüdische Gemeinde in der Stadt mehr, die die Gräber hätte pflegen und das Gedenken an die Angehörigen aufrechterhalten können. Das Buchprojekt „Makom tov – der gute Ort“ versucht diese Lücke im Gedächtnis der Region zu schließen und erinnert sowohl auf Polnisch, als auch auf Deutsch an die Geschichte des Friedhofs.
Friedhöfe als Träger kultureller Funktion und ihre Bedeutung als historische Quelle
Der Verlust der jüdischen Tradition in der Region und die ungünstige Lage im deutsch-polnischen Grenzgebiet hatten für den Friedhof schwerwiegende Folgen. In den 1970er-Jahren wurde auf dem Gelände ein Hotel mit einem großen Parkplatz errichtet. Dafür wurden weite Teile des Friedhofs planiert, Gräber zerstört und unter einer dicken Schicht Erde begraben. Dieser Verlust der letzten verliebenden Überreste jüdischer Kultur in der Region wirkt umso schlimmer, wenn man sich die Bedeutung von Friedhöfen in der jüdischen Kultur vor Augen führt. Der Religionswissenschaftler Dr. Nathanael Riemer erklärte eindrücklich, dass Friedhöfe in der jüdischen Kultur sowohl wichtige kollektive, als auch individuelle Funktionen erfüllen. Sie sind Ort der Trauerbewältigung und sollen den Toten Ruhe und Schutz gewähren, indem sie diesen einen sicheren Raum bieten und sie vor ritueller Verunreinigung schützen. So darf auf jüdischen Friedhöfen weder Getrunken oder Gegessen werden, noch dürfen die Gräber betreten werden. Die Angehörigen und die Gemeinde sind für die Pflege und die Instandhaltung der Gräber zuständig. Diese gelten als ewiges Eigentum der Verstorbenen und werden nicht eingeebnet oder aufgelöst. Auch auf die Bedeutung von Friedhöfen als historische Quelle verwies Dr. Riemer. Denn mit Hilfe der Grabinschriften ließen sich soziale Beziehungen und Migrationsbewegungen rekonstruieren.
Der Verfall und die Wiederentdeckung des Friedhofs
Der Hauptautor des Buches Eckhard Reiß hatte als Fernmeldetechniker bereits in den 1960er-Jahren die Möglichkeit, auf die polnische Seite der Oder zu gelangen. Er stieß dabei 1965 auf den ehemaligen jüdischen Friedhof Frankfurts und machte dort auch einige Fotos von den noch weitestgehend erhaltenen Grabanlagen. Erst mit dem Hotelbau 1975, das später in ein Bordell umfunktioniert wurde, wurden große Teile des Friedhofes zerstört und die Friedhofsmauer abgebrochen. In den 1990er-Jahren wurden verschiedene Rabbiner auf den ehemaligen jüdischen Friedhof aufmerksam, da auf diesem der bedeutende jüdische Gelehrte Yosef Theomim begraben ist. Zusammen mit Eckhard Reiß wurde daraufhin versucht, den Ort des Grabes Theomims mit Hilfe von historischen Fotografien zu rekonstruieren, was nur unter großem Aufwand gelang. Heute steht ein neuer Grabstein an der Stelle, an der Yosef Theomim vor mehr als 200 Jahren beerdigt worden war. Das ehemalige Hotel auf dem Gelände wurde abgerissen, der Friedhof wurde der jüdischen Gemeinde in Stettin übergeben und 2007 in das Eigentum der Warschauer Stiftung zum Schutz jüdischen Erbes überführt. In dem Buch „Makom tov – der gute Ort“ wurde die Geschichte des Friedhofs nun detailliert aufgearbeitet und fotografisch dokumentiert. Auch wurden die bisher wieder entdeckten Grabsteine systematisch in einem Register erfasst und deren hebräische Inschriften auf Deutsch und Polnisch übersetzt.
Im Anschluss an den Vortrag diskutierte das Publikum lebhaft, wie die Zukunft des Friedhofs gestaltet werden könnte. Zwar hat das Projekt „Makom tov“ den ersten Schritt getan, um auf die Geschichte des Friedhofs aufmerksam zu machen, doch wirkt dessen Vergangenheit bis heute nach: Denn keine Institution fühlt sich für die Pflege und den Erhalt des Friedhofs zuständig, weder auf der deutschen, noch auf der polnischen Seite der Oder. Würde man diesen Ort als gemeinsamen deutsch-jüdisch-polnischen Erinnerungsort wahrnehmen, könnte er ein integrierendes Element dieser Region werden und die Gemeinsamkeiten stärken. Es bleibt abzuwarten, ob sich engagierte Bürgerinnen und Bürger finden, die das in die Hand nehmen wollen…
Lars Diedrich
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