Donnerstag, 25. Juni 2009

WBS 70 - Alltag im Plattenbau

Kommen Sie aus dem Osten? Dann kennen Sie sicher noch die „Goldene Hausnummer“! In vielen Städten wurde sie an Hausgemeinschaften verliehen, die sich bei der Gestaltung ihres Hausaufgangs, vor allem in den neugebauten und meist noch unfertigen Plattensiedlungen besondere Mühe gaben. Oft wurde die „Goldene Hausnummer“ aber auch mit besonders staatstreuen Bürgern gleichgesetzt. Durch eine Hausgenossenschaftleitung, die jedes Haus besaß, wurden weitere Aufgaben, wie Reinigungsarbeiten delegiert, die alle Mieter zu erledigen hatten, aber auch Probleme innerhalb der Mieterschaft sollten kollektiv gelöst werden. Den Zusammenhalt der Bewohner zu intensivieren war das eine erklärte Ziel dieser von der SED initiierten Wettbewerbe und Maßnahmen, einen breiten Einfluss in der Mieterschaft zu gewinnen ein Weiteres.

„Arbeiterschließfach“ oder „Wohnklo mit Kochnische“
So wurde sie spöttisch genannt, die meist verbreitete Wohnform in Ostdeutschland, bei der viele der „Goldenen Hausnummern“ anzutreffen waren. „WBS 70“ kürzte man sie fachmännisch ab, die „Wohnungsbauserie 70“. Mit ihren genormten 59 Quadratmetern pro Wohneinheit in ausschließlich 5-, 6- oder 11-Geschossern schien sie bei so manchen Beklemmungen heraufzubeschwören. Anfang der 1970er Jahre entstand WBS 70 in Zusammenarbeit der Bauakademie mit Wohnungsbaukombinaten und der Technischen Universität Dresden. 1972 erstmals in Neubrandenburg gebaut, trat die genormte Platte durch ihre geringen Kosten anschließend zu einem Siegeszug im Wohnungsbau der DDR an.

Vereinheitlichung des Wohnraumes
„Ziel der SED war es, durch den staatlichen Wohnungsbau die Klassen- und Schichtenunterschiede der Mensch aufzuheben, gleiche Wohnungen für gleiche Menschen zu bauen“, schreibt Robert Liebscher in seinem Buch „Wohnen für alle. Eine Kulturgeschichte des Plattenbaus“. Eine homogene Einwohnerschaft von „sozialistischen Kleinfamilien“ sollte – der nie verwirklichten Utopie nach – entstehen. Der Professor sollte neben dem Arbeiter, das Rentnerpaar neben der Jungfamilie wohnen. Frühmorgens brachten viele Mütter ihre Kinder gemeinsam zum Kindergarten, nach 22 Uhr brannten in den Fenstern der Plattenbausiedlungen nur noch wenige Lichter. Doch nicht immer konnte diese sozialistische Harmonie aufrechterhalten werden. Durch dünne Wände konnte man Ehestreitigkeiten genauso mitverfolgen wie die Toilettengänge des Nachbarn.

Mehr zur Platte im Buch von Robert Liebscher: Wohnen für alle. Eine Kulturgeschichte des Plattenbaus

Mittwoch, 17. Juni 2009

Armut kann auch freiwillig sein

Wie Franziskus von Assisi zum Bettelmönch wurde

(Berlin, 15.06.09) Hat Armut Geschichte? Nicht erst seit der global um sich greifenden Wirtschaftskrise beschäftigt sich der Vergangenheitsverlag mit den Themen Armut, Reichtum und Sparen. Uns interessiert: Wie wird man reich (wen interessiert das nicht), wie arm, wie gehen Menschen mit dem Schicksal von Reichtum und Armut um? Diese Fragen betreffen grundsätzliche Aspekte des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Grund genug für eine kurze Rückschau – zunächst auf das Thema Armut. War diese immer ein herber Schicksalsschlag? Nicht unbedingt. Es gibt Beispiele aus der Geschichte, die einen vollkommen anderen Umgang mit dem Thema zeigen…

Vom Saulus zum Paulus
Franziskus von Assisi (1181-1226) war einst ein reicher Kaufmannssohn. Verschwenderisch ging er in seiner Jugend mit dem Geld seines Vaters, einem Tuchhändler, um. Er trug feinste Stoffe und feierte rauschende Feste. Und Ritter wollte er werden, der junge Francesco. Als es er schließlich mit den Truppen seiner mittelitalienischen Heimatstadt Assisi in den Krieg gegen das benachbarte Perugia zog, kam er krank, erschüttert und geläutert zurück. Er soll eine Vision gehabt haben: Gott habe zu ihm gesprochen und ihn aufgefordert, sich fortan in seinen Dienst zu stellen.
Daraufhin suchte er die Einsamkeit und ging auf Pilgerfahrt. Der Legende nach tauschte er seine Sachen mit einem Bettler um völlige Armut zu erfahren. Er baute mehrere Kirchen wieder auf, erneut soll er in einer Version von Gott dazu aufgefordert worden sein. Die Mittel dafür erbettelte er bei den Anwohnern, doch er nahm auch Geld und Waren aus dem väterlichen Geschäft. Manchmal verschenkte er sogar die teuren Stoffe. Schließlich prozessierte der Vater gegen ihn. In der Gerichtsverhandlung im Frühjahr 1206 verzichtete Franz auf sein Erbe, den Quellen nach entkleidete er sich vollständig seiner Sachen und sagte sich vom Vater los:

„Bis heute habe ich dich meinen Vater genannt auf dieser Erde, von nun an will ich sagen: Vater, der du bist im Himmel.“ (Dreifährtenlegende)

Fortan lebte er als Einsiedler, bettelte und trug eine einfache Kutte, zusammengehalten nur mit einem Strick. Er verstand sich als Büßer, mahnte die Menschen tugendhaft zu leben und für ihre Sünden zu büßen. Viele zog er mit dieser neuartigen, asketischen Lebensweise in den Bann. Nie hatte er vor, einen Orden zu gründen, doch so viele wollten nach seinem Vorbild leben, dass er schon wenige Jahre später, 1209, mit seinen Gefährten gen Rom zog, um die Erlaubnis für eine kleine Gemeinschaft zu erbitten. Eine gefährliche Mission, denn „Ketzer“, wie die Gemeinschaften der Waldenser oder Katharer, machten sich im Heiligen Römischen Reich breit, die Skepsis der Kurie hinsichtlich neuer Ordensgründungen war groß. Doch auch hier soll Franziskus eine Vision zu Hilfe gekommen sein, die diesmal nicht ihn ereilte, sondern den Papst, der in der Nacht zuvor von der Ankunft des Retters des Christentums träumte. Er erteilte ihm die Erlaubnis.
Der Franziskanerorden zählt zu den vier großen Bettelorden des Mittelalters. Bis heute kann man sie an ihrer einfachen, braunen Kutte erkennen.

Blog über den Franziskanerorden und seine Tätigkeiten in Deutschland: www.franziskaner.de

Mittwoch, 10. Juni 2009

Rent a Grandma

Das Projekt ‚geliehene Oma’

Es duftet nach köstlichem Apfelkuchen, heißer Schokolade und dem etwas zu schweren Duft älterer Damen – so war er, der Sonntagnachmittag bei ‚Oma’. Gemütlich saß sie in ihrem Sessel, erzählte mit Begeisterung Geschichten ‚von damals’ und strickte eifrig dicke Wollsocken für die ganze Familie. Auf dem Schoß von ‚Oma’ war die Welt eben immer ein kleines Stück besser. Diese kostbaren Schätze der Kindheitserinnerung möchte wohl niemand missen.

Ohne Oma geht’s nicht

Großeltern sind für die meisten Kinder ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Sie hören ihren Enkeln geduldig zu, nehmen sich Zeit für deren Probleme und sind nicht selten als Diplomaten in der Eltern-Kind-Beziehung tätig. Ohne Oma würde der Haussegen sicherlich in einigen Familien häufiger schief hängen.

Nicht selten stellen Großeltern auch einen entscheidenden Faktor des Familienmanagements dar. Wer betreut die Kinder nach der Schule? Oma. Wer nimmt sie am Wochenende zu sich? Oma. Viele Haushalte mit berufstätigen Eltern können ohne die Hilfe der älteren Generation gar nicht funktionieren. Wenn’s brennt, sind Oma und Opa stets zur Stelle. Doch was tun, wenn weit und breit keine Großeltern in der Nähe sind? Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Die Lösung: ‚Rent a Grandma’ – die Oma zum Ausleihen.

Retter in der Not: ‚Rent a Grandma’

Lokale Familienverbände (z.B. Jugendämter, kirchliche Sozialeinrichtungen) stellen den Dialog zwischen den Generationen wieder her. Großmütter a. D., die sich gerne wieder einer Herausforderung stellen und im Umgang mit den Kindern am Puls der Zeit bleiben wollen, finden auf diese Weise ihren Weg in junge Familien, die nur ungern auf die Erfahrung und Unterstützung liebevoller Großeltern verzichten. Wer jetzt denkt, geliehene Großmütter seien gealterte, ehrenamtliche Babysitter, die bei Anruf vor der Tür stehen, irrt. Leihomas schließen die Lücke im Familienleben und bereichern es durch regelmäßige Besuche. Selbstverständlich kann die Großmutter auf Zeit auch abends am Wochenende einspringen, wenn Not am Mann ist. Alle müssen sich jedoch an vereinbarte Regeln halten.

Der Erfolg gibt dem Konzept ‚geliehene Oma’ Recht. Die Nachfrage steigt beständig und noch wagen zu wenige Großeltern den erneuten Schritt ins Kinderzimmer. Schließlich ist der Job ‚Oma’ nicht zu unterschätzen. Nur bei guter Gesundheit und mit viel Geduld können Großeltern den Kampf um Ritterburgen aufnehmen und ganze Schlösser im Garten bauen. Gelingt letztlich aber die Integration der Wunsch-Oma in die neue Familie, ist der Gewinn auf beiden Seiten groß und auch weiterhin werden Kinder sich noch lange Zeit gerne an ihre Großmutter erinnern, denn: Oma ist und bleibt die Beste – ob geliehen oder nicht.

Mehr dazu im Buch von Juliane Haubold-Stolle:

„Oma ist die Beste. Eine Kulturgeschichte der Oma“ / www.vergangenheitsverlag.de

Oder unter: www.leihomas-leihopas.de

Dienstag, 9. Juni 2009

Fußball ein Männersport?

Frauen erobern das Stadion

Frauen und Einparken. Frauen und Orientierung. Oder eben: Frauen und Fußball. Das passt nicht zusammen, denkt sich so mancher ewig gestriger Fußballmacho und wundert sich, dass einem die Damenwelt das Abseits in all seinen Details erklären kann. Offensichtlich haben die Frauen in den letzten Jahren den Fußball für sich entdeckt und schließen in ihrer Begeisterung immer weiter zu den Herren der Schöpfung auf.
Aktuelle Studien belegen, dass es sich hierbei keineswegs um eine vorübergehende Erscheinung, sondern um eine Trendwende handelt. 46 Prozent der deutschen Frauen sind einer aktuellen Untersuchung zufolge „interessiert“ oder „sehr interessiert“ am Volkssport Nummer 1. Mit ihren Nationalmannschaften fiebern die Frauen genauso mit wie die Männer. Wer kann die Fußball-WM 2006 in Deutschland vergessen? Männlein und Weiblein sangen, tranken und weinten in seltener Eintracht. Auch der Bundesligaalltag wird weiblicher. Die Gruppe der Frauen, die älter als 14 sind und sich für Fußball interessieren, ist seit 2002 um 15 Prozent gewachsen. Im Stadion sind durchschnittlich 22 Prozent der Zuschauer Frauen, in Freiburg, Dortmund, Mainz und St. Pauli sind es sogar noch mehr. Beim Hamburger SV ist der Anteil in den vergangenen drei Jahren von zirka zehn auf gut 20 Prozent geklettert.

Wer ist Fußballweltmeister?
Bei manchem „echtem“ Mann bleibt da jedoch dieses dumpfe Gefühl im Magen. Muss das wirklich sein? Sehen wir nicht schon heute die fatalen Folgen dieser Entwicklung? Unwiederbringlich vorbei erscheinen die Tage von Fußballhaudegen wie George Best, der über sich und sein Leben sagte: „Ich habe eine Menge Geld für Alkohol, Weiber und schnelle Autos ausgegeben - den Rest habe ich verprasst.“ So kann heute kein Mann mehr reden…
Dabei ist die Eroberung der Fußballstadien durch Frauen nicht neu – spielten einige Damen aus England doch schon um die Jahrhundertwende auch selbst Fußball. Ein Novum in 5000 Jahren Fußballgeschichte. Ende der 1960er Jahren gab es dann die ersten echten Frauenfußballclubs in der Bundesrepublik und der DDR. Die spielen im internationalen Vergleich besser als die Männer. Und außerdem: Wer ist Fußballweltmeister? Seit 2007 die deutsche Frauennationalmannschaft – den Herren zum Vorbild!

Mehr dazu im Buch von Florian Reiter:
„Der Kick mit dem Ball. Eine Geschichte des Fußballs“ - www.vergangenheitsverlag.de

Donnerstag, 4. Juni 2009

Vom Gottesglauben zur Genetik - Aufbruch in die Moderne: Wissenschaft im 19. Jahrhundert

(Berlin, 03.06.2009) Die Welt ist keine Scheibe, die Sonne dreht sich nicht um die Erde und Unwetter sind keine Strafe Gottes. Der Weg zu diesen Erkenntnissen war ein steiniger Pfad. Pioniere der Wissenschaft mussten sich im 17. Jahrhundert gegen die Glaubens- und Lehrhoheit der katholischen Kirche durchsetzen und nicht selten einen hohen Preis für ihre Überzeugungen zahlen. Der Siegeszug der Wissenschaften konnte aber auch von Weihrauch und Kruzifixen nicht aufgehalten werden.

Ein Licht geht auf…

Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts gelang es der Forschung sich endgültig aus den Fesseln von Religion und Politik zu lösen. Es folgte die Zeit des Aufbruchs in ein neues Jahrhundert: das Zeitalter der Naturwissenschaften. Einige Meilensteine der Technikgeschichte hat diese Zeit hervorgebracht. So ließ Thomas Edison den Menschen rund um den Erdball ein Licht aufgehen (Glühbirne seit 1879), Graham Bell ebnete den Weg ins Zeitalter der globalen Kommunikation (Telefon seit 1861) und Carl Benz setzte die Massen in Bewegung (Automobil seit 1886). Die Welt von heute ist ohne die Erfindungen von damals kaum vorstellbar.

Die Welt mit neuen Augen sehen

Doch die Wissenschaft revolutionierte nicht nur den Alltag, sondern auch die Weltanschauung der Menschen. Die Evolutionstheorie von Charles Darwin löste den frommen Glauben an die Schöpfungsgeschichte ab, Max Planck öffnete mit der Begründung der Quantenphysik das Fenster in unvorstellbare Dimensionen und Sigmund Freud wagte sich an die Entschlüsselung der menschlichen Seele. Zu Recht schreibt daher der Religionskritiker Ludwig Feuerbach (1804-1872) über seine Zeit: „Die höchste, die gottähnlichste Macht auf Erden ist die Macht der Wissenschaft.“ Zwar hat nicht jede Theorie und jede Erkenntnis der großen Forscher ihren Anspruch auf Wahrheit bewahren können. Doch der prägende Einfluss der Wissenschaft auf die Gesellschaft war nicht rückgängig zu machen.

Der kleine Mann will’s wissen

Forschung spielte sich jedoch nicht allein in den Laboren einer akademischen Elite ab. Naturwissenschaftliche Zeitschriften eroberten die Wohnzimmer von Familien, berichteten über das Leben berühmter Forscher, gaben Anleitungen zum Bau technischer Geräte und erklärten Naturphänomene. Von Elektrizität bis Dampfkraft: Wissenschaft boomte, Wissenschaft war populär.

Damals wie auch heute fasziniert das 19. Jahrhundert durch unbändigen Forschungsdrang, revolutionäre Entdeckungen und den Mut, neue Wege zu beschreiten.

Biografien zu bedeutenden Forschern dieser Zeit finden Sie bei uns:

DRM/ Ulrich Mödder/ Uwe Busch (Hg.): Die Augen des Professors. Wilhelm Conrad Röntgen

Hermann von Helmholtz-Zentrum: Auf Müllers Spuren. Stationen zum Leben eines Forschers