Dienstag, 21. Dezember 2010

Wie wir sterben - ein Interview mit der Autorin Conny Smolny


Der Tod gehört zum Leben. So natürlich dieser Moment ist, so unterschiedlich sind seine Deutungen in der Geschichte. Jede Kultur hat ihren eigenen, jedes Zeitalter einen neuen Umgang mit dem memento mori, dem Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit, entwickelt. Heute scheint es, als ob wir das Sterben immer weiter aus unserem Leben verbannen. Der gegenwärtige Kult um die ewige Jugend kann den Verfall des Menschen am Ende seines Lebens eigentlich nur ignorieren und verdrängen. Oder doch nicht? Die Autorin Conny Smolny befasst sich in ihrem aktuellen Buch mit neuen und zukünftigen Formen des Umgangs mit Sterben und Bestattung, lenkt den Blick aber auch zurück in vergangene Jahrhunderte. Wir sprachen mit der Autorin:


1. Was ist die zentrale Botschaft Ihres Buches?
Der Umgang mit Sterben und Tod ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Angst vor dem Tod war früher vordergründig auch eine Angst vor ewiger Verdammnis; heute ist es eher die Angst, einsam und abgeschoben in einem Pflegeheim oder angeschlossen an eine Armada von Schläuchen und Instrumenten, ebenfalls einsam und zudem noch völlig ausgeliefert, den letzten Atemzug zu tun.
Deshalb waren meine Themen im Buch z. B. die wachsende Vielfalt im Bestattungswesen im europäischen Kulturkreis. Auch das Verhältnis der Gesellschaft zum Suizid, von den Stoikern bis hin zur Sterbehilfe als bezahlter Dienstleistung, oder der Tod und die Erwartungen an die Zeit danach in den großen Religionen der Welt wie auch die Verarbeitung des Todes in Kunst, Literatur und Musik werden thematisiert.

2. Weshalb sollte man Ihr Buch lesen?
Nicht nur, wenn die dicken Novembernebel sich schwer und grau über Landschaften und Städte legen, wird gern einmal zu einem Buch gegriffen. Im November, wenn Gedenken an Tagen wie Allerseelen und Totensonntag zelebriert wird, ist das Thema Tod doch näher als in Monaten, in denen alles blüht und grünt. Das Lesen dieser kleinen Kulturgeschichte des Todes kann zum einen informierend und bildend sein, aber auch tröstlich und erheiternd. Durch ihre Vielfältigkeit ist sie interessant und fesselt durch immer neue Aspekte der gleichen Thematik. Diese geben unterschiedliche Blicke frei und können somit den Horizont der Leserinnen und Leser erweitern und sie für manches, den Umgang mit Tod und Sterben betreffend, sensibilisieren. Tod bedeutet Verlust, Schmerz und Trauer. Und am Ende stellt sich die Frage: Was bleibt? Welchen Einfluss hat mein Leben auf meinen Tod?

3. Weshalb hat Sie selbst das Thema so interessiert?
Das Thema interessiert mich schon viele Jahre lang. Persönliche Erfahrungen mit Sterben und Tod sowohl beruflich als auch privat haben den Wunsch verstärkt, diese kleine Kulturgeschichte zu schreiben. Die Tatsache, dass nichts und niemand davon verschont bleibt, dass sich mit dieser Unausweichlichkeit alle abfinden müssen und es keinen Sinn hat, den Tod zeitlebens zu verdrängen, da er einen dann um so härter treffen kann, all das und noch vieles mehr fasziniert mich persönlich am Tod. Er bleibt, trotzdem er in Wissenschaft, Kultur und Gesellschaft laufend thematisiert und analysiert wird, oft rätselhaft und unheimlich.

4. Für wen ist Ihr Buch besonders interessant?
Die kleine Kulturgeschichte des Todes ist für alle interessant, die sich mit diesem Thema befassen möchten, sei es, weil sie den Tod bisher verdrängt haben, sie der graue Novemberblues erfasst hat oder der Verlusst eines Angehörigen oder einer guten Freundin Anlass ist, sich damit zu befassen. Da es alle Alters- und Gesellschaftsschichten betrifft und von unterschiedlichen Seiten beleuchtet wird, finden sich neue und faszinierende Aspekte für alle.

Mehr zum Buch unter: http://vergangenheitsverlag.de/index.php?mainm=8&id=8&buchid=24

Die Ideenmacher - wie man in der Kultur- und Kreativwirtschaft lustvoll gründet


Andrea Rohrberg und Alexander Schug präsentieren den ersten praktischen Gründungsratgeber für die Kultur- und Kreativwirtschaft, für die freiberufliche Tätigkeiten immer bedeutender werden. Das Buch folgt einem praxisorientierten Ansatz für lustvolles Gründen und die erfolgreiche Selbständigkeit. Dialogisch, direkt und empathisch, begleitet von vielen Beispielen und konkreten Handlungsvorschlägen gibt der Ratgeber Antworten auf grundsätzliche Fragen :
• Wie wird aus einer kreativen Idee eine erfolgreiche Gründung?
• Wieso gründen Kreative anders und was brauchen sie zur Gründung?
• Wie findet die Idee den Markt?
• Wie viel Glück und Erfüllung bringt das Gründen den Ideenmachern?

Andrea Rohrberg, Alexander Schug
Die Ideenmacher
Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Ein Praxis-Guide
256 S., 24,80€
Erschienen Dezember 2010
ISBN 978-3-8376-1390-2


Kontakt zu den Autoren: info@ideenmacher.net

Dienstag, 7. Dezember 2010

Vom Altern, Sterben, Drachen, der RAF und der Geschichte des Erkanntwerdens

Der Vergangenheitsverlag Berlin präsentiert diesen Winter sechs neue Sachbücher:

Den Geschmack einer Stadt beschreibt Johannes Arens in „Nachschlag Berlin“ – eine Stadtgeschichte, in der untersucht wird, wieso die Berliner essen, was sie essen und was das mit „Geschichte“ zu tun hat:

Johannes J. Arens, Nachschlag Berlin. Zur Kultur des Essens und Trinkens in der Hauptstadt, Berlin 2010

Zur RAF haben sich schon viele geäußert. Martin Kowalski gehört zu einer Generation, die in die Debatten von früher nicht mehr verwickelt ist – er rechnet ab mit einer Bewegung, die als postfaschistisches Phänomen verstanden werden muss:

Martin Kowalski, "Aber ich will etwas getan haben dagegen!" Die RAF als postfaschistisches Phänomen, Berlin 2010

Im November präsentierte die Bundesregierung den neuen Personalausweis mit umfangreichen biometrischen Daten. Grund für unseren Autor Thomas Claes, Historiker und Islamwissenschaftler, die Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens in einem großen Bogen vom Mittelalter bis heute zu erzählen. An diesem kleinen Stück Papier lässt sich die Geschichte wachsender Kontrolle und Gouvernementalität darstellen. Grundsätzliche Fragen werden diskutiert: Wieso brauchen wir eine staatlich belegte Identität? Wieso müssen wir erkannt werden?

Thomas Claes, Passkontrolle! Eine kritische Geschichte des sich Ausweisens und Erkanntwerdens, Berlin 2010

Wir fragen auch nach der kulturellen Bedeutung des Alters und Sterbens. Die Autoren zeigen in der Reihe „Kleine Kulturgeschichten“ wie Menschen in der Vergangenheit mit der Herausforderung des Altwerdens, aber auch des Lebensendes umgegangen sind:

Juliane Haubold-Stolle et al., Wer ist schon alt? Eine Kulturgeschichte des Alterns, Berlin 2010

Conny Smolny, Komm, sanfter Tod, des Schlafes Bruder. Eine Kulturgeschichte des Todes, Berlin 2010

Aus einer ganz anderen Welt scheinen Drachen zu sein – ein kulturelles Phänomen, das Menschen und ihr künstlerisches und literarisches Schaffen seit Jahrtausenden begleitet. Einer der profiliertesten deutschen Dracologen, Wolfgang Schwerdt, beschreibt Ursprung, Entwicklung und kulturgeschichtliche Bedeutung der Drachen von der Frühgeschichte bis heute.

Wolfgang Schwerdt, Andre Zeiten, andre Drachen. Eine Kulturgeschichte der Drachen, Berlin 2010

Verlorene Zeiten - ein Kommentar von Jürgen Haase

Ein Kommentar zum Buch: Verlorene Zeiten? DDR-Lebensgeschichten im Rückblick – eine Interviewsammlung / mit Portraitfotografien von Monique Ulrich

Vielleicht sollte sich der Vergangenheitsverlag lieber Zukunftsverlag nennen? ...
... und vielleicht beschreiben junge Historiker Vergangenes unvoreingenommen und ehrlicher

Genau achtzehn Lebensgeschichten, aufgeschrieben von jungen Historikern, sind zwar kein repräsentativer Querschnitt vom Leben in der einstigen DDR, wohl aber ein gewichtiger Beitrag zum besseren Verständnis von Vorgängen, Lebensweisen und -weisheiten in zwei einstigen Ländern, was beiderseits der ehemaligen Grenze wohl noch auf Jahre hinaus Erklärungsbedarfe auslösen wird.
Denn das Buch "Verlorene Zeiten?" beschreibt Verhältnisse einer unter gegangenen Republik, vielleicht besser einer einverleibten Republik, beschreibt einige der wenigen erblichen Reste der Arbeit unserer Väter und Vorväter, aus denen man doch bitte die ehrlichen, fairen und vor allem richtigen !!! Schlussfolgerungen für die Zukunft ableiten sollte. Eine Eigenschaft, die uns Deutschen schon vielfach abgegangen ist, beschreiben wir die Bilderstürmer, den Leinenweberaufstand oder auch vielfach großartige Leistungen der Menschen in der einstigen DDR. Genau das aber ist jenes was sich die Beigetretenen erhofft hatten und in vielem enttäuscht wurden. Vielleicht kann dieses Buch ein wenig jenen die Augen öffnen, die nie in der einstigen DDR waren, aber schon im Vorfeld alles wissen wollten, was den Bürger dort bewegte und allein aus diesem – ebensolchen propagandistischen Wissen, wie einst in der DDR – Schlussfolgerungen ableiteten, die noch in den nächsten Jahrzehnten nachwirken werden. Wenn schon der Rheinländer oder Bayer oder auch der Niedersachse und Saarländer, der dieses Buch liest, dem "roten" Hans Modrow vielleicht Hetze, Ideologie, kommunistische Hartlinerschaft und Propaganda unterschiebt oder Herbert Mießlitz verdammt für seine "West-Theorie", so greift das Buch doch auch zu den Worten jener Menschen, denen nicht die unbedingte Systemtreue nachgesagt werden kann. Da kommt der Naturwissenschaftler Hans Misselwitz zu dem Schluss, dass man die eigene Freiheit von niemandem geschenkt bekommt und auch der Sänger von Pankow, Andre Herzberg war sicher keiner, dem Anpassung und Selbstunterwerfung eigen war. Das Interview mit dem Autor Klaus Kordon spricht ebenfalls "Bände", indem er vor Beginn seines Gespräches ausführt, dass er nicht in einem Band mit DDR-Schönrednern zwischen zwei Buchdeckeln auftauchen möchte. Da ist ein Pfarrer, der zu Wort kommt und eine Krankenschwester, ebenfalls mit im Reigen, die zeigen sollen, dass man sich seitens des jungen Autorenteams doch um die Erfassung von Meinungen und Haltungen breiter Schichten der Bevölkerung der einstigen DDR bemühte.
Noch ein Wort an dieser Stelle zu den Autoren. Ich finde es gut, stark und mutig, sich der Geschichte anzunehmen, die heute viele Politiker gern ausblenden möchten. Ich finde es gut, dass sie damit einer Bilderstürmerei entgegen treten, die wie immer in Deutschland nach Umbrüchen zum Ziel hat, das Vergangene zu verdammen oder zu vergöttern, schlecht zu machen oder in den Himmel zu heben, auf jeden Fall vernichtend mit dieser umzugehen. Dass auch diese Zeit und ihre Menschen viel Gutes, sehr viel Gutes geleistet haben auch unter einem anderen Regime als dem heutigen, dass sei ihnen gut geschrieben und hat nichts, aber auch gar nichts mit verallgemeinernder Verherrlichung der DDR zu tun! Es hat ganz einfach damit zu tun, dass unsere jungen Autoren auch heute auf dem guten Weg sind, zu erkennen dass Heimat- und Volksverbundenheit nichts mit einem übergeworfenen, verallgemeinernden ideologischen Vorurteil zu tun haben und schon gar nichts mit einem Urteil aus eigener Unkenntnis. Wenn schon keine eigenen Erlebnisse zum Bild über eine Sache vorliegen können, so ist es doch nicht mehr als ehrlich und fair gegenüber seinen Mitmenschen, das Hinterfragte auch wahrheitsgemäß zu interpretieren. Dafür gebührt diesen jungen Leuten Dank.
Ich habe dieses Buch gelesen, habe in vielen dieser Lebensgeschichten das eigene, das meiner Familie, meiner Freunde, meiner Väter ebenso wiedergefunden, wie die prägenden Einflüsse der immer größer werdenden Gräben zwischen Ost und West, die von der Propaganda beider Seiten zur Motivierung ihrer Bürger ausgenutzt wurden. Ich durfte Gefühle, Meinungen, Lebensinhalte wiederfinden, die "uns einstigen" DDR-Bürgern aus der Seele gesprochen sind. Einfach, weil dies unser Leben war, einfach weil auch wir in ein System hineingeboren wurden, in dem wir unseren Platz auch erst suchen, erarbeiten und erkämpfen mussten. Weil siebzehn Millionen DDR-Bürger ebenso in festgefügten Staatsstrukturen klar kommen mussten, wie dies 68 Millionen Bundesbürger taten. Eine Tatsache, die heute gern unter den Tisch gekehrt wird, nicht nur von der Politik, sondern gern auch von der Wirtschaft, die mit dem Beitritt astronomische Gewinne in Krisenzeiten erzielte und eine – zugegeben sehr marode Wirtschaft – gnadenlos ausschaltete. Was damit an wissenschaftlich-technischem Vorlauf, an Forschungs-, Bildung-, Gesundheits- und Sicherheitspotenzial ein wenig überheblich und großmannssüchtig vernichtet wurde, wird in Jahrzehnten nicht wieder aufzuholen sein. Genauso gnadenlos, wie dann in den Folgejahren durch eine beispiellose Privatisierungsaktion die Lebensverhältnisse hunderttausender Familien von einem Tag auf den anderen aus der staatlich sanktionierten Geborgenheit und Sicherheit in die der kapitalistischen Existenznot getrieben wurde, was jetzt der Staat auszubaden hat.

Vielleicht ist diese Interviewsammlung ein gutes Stück auf dem Weg, Vorurteile und Vorbehalte auf beiden Seiten abzubauen, generalisierende Elemente aus der Ost-West-Diskussion zu beseitigen. Auf jeden Fall ist es ein gutes Werk auf dem Weg zum besseren gegenseitigen Verständnis, zur fairen oder freundschaftlichen Begegnung zwischen den Bürgern der beiden einstigen "verfeindet gemachten" deutschen Staaten. Und dies auf der eigentlich von Anbeginn an gebotenen gleichen Augenhöhe, zum allseitigen Vorteil. Ein Wesenszug, den viele der Beigetretenen bei Bürgern der alten Bundesrepublik ebenso schmerzlich vermissen, wie die Solidarität unter- und miteinander. Vielleicht bringt es sogar Leben in die Diskussion um eine weitreichende Reform demokratischer Strukturen, die aus Sicht vieler Menschen lange überfällig ist, aber wohl kaum mit Aktionismus wie beim Bahnhofsprojekt Stuttgart 21 zielführend realisiert werden kann. Auf jeden Fall, so habe ich Verfasser, Interviewer, Herausgeber und zu allererst die Interviewten verstanden, sollte es ein wohl gemeinter Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft in einer Demokratie sein, an der bestimmt alle Bundesbürger gern mitarbeiten.

Jürgen Haase (freier Journalist)

Mittwoch, 1. Dezember 2010

Das Ende von Bruckhausen?

Aufruf der Geschichtswerkstatt Du-Nord: In den letzten Wochen sind in Bruckhausen im Zuge der Planung eines „Grüngürtels“mehrere Gebäude abgerissen worden. Wir fordern die Stadt Duisburg hiermit auf, die Abrissarbeiten umgehend zu stoppen.
Bruckhausen als Ensemble zeigt als letzter Stadtteil im Ruhrgebiet das enge Nebeneinander von Industrie und Wohnbebauung, wie es für die Region typisch war. Bruckhausen ist eine Geschichtslandschaft von hohem Denkmalwert. Noch 2007 sah sich das Rheinische Amt für Denkmalpflege durch „Die Dichte der historischen Bebauung und deren anschauliche Zuordnung zu den gegenüberliegenden
Werksanlagen„ veranlasst, die Ausweisung eines großen Teil des Stadtteils Bruckhausen, darunter das komplette heutige "Sanierungsgebiet“ als Denkmalbereich anzuregen. Bruckhausen als Denkmalbereich ist im Zusammenhang der Grüngürtelplanung niemals geprüft worden. Das öffentliche Interesse am Erhalt einer einzigartigen Ruhrgebietskulisse ist nicht gegen andere Interessen abgewogen worden, die vorbereitende Untersuchungbehandelt nur einzelne denkmalwerte Gebäude und auch hier nur einen Teil der denkmalwerten Substanz. Wir halten das für ein schweres Versäumnis. Bruckhausen soll gerade in dem Moment abgerissen werden, in dem es dem Stadtteil nach Jahrzehnten endlich wieder besser geht. Die Umweltbelastungen sind deutlich gesunken und werden weiter sinken. Seit mehr als 20 Jahren sind sehr viele öffentliche Fördergelder in den Stadtteil geflossen und haben zur Aufwertung beigetragen. Und nicht zuletzt hat sich nach ersten schwierigen Jahren ein türkischstämmiger Mittelstand herangebildet, der Bruckhausen und Deutschland als seine Heimat betrachtet und nun um sein Eigentum und sein Zuhause gebracht wird. Gerade diese beispielhaft integrierten Zuwanderer haben durch teilweise sehr aufwändige Instandhaltungsarbeiten an ihren über 100 Jahre alten Häusern dem Schutz unseres deutschen Kulturgutes einen wertvollen Dienst erwiesen. Bruckhausen hat heute die Chance, ein ganz normaler, lebenswerter Stadtteil zu werden. Mehr noch: Da ein großer Teil der Häuser inzwischen der Stadt gehört, besteht die einmalige Chance, ein wirkliche Sanierung durchzuführen und der Stadt damit ein einzigartiges, lebendiges Denkmal zu schenken. Es muss endlich eine positive Vision für den Duisburger Norden entwickelt werden, welche die sich abzeichnende Entwicklung unterstützt und Chancen nutzt, statt die Vernichtung unseres kulturellen Erbes und sozialer Strukturen herbeizuführen. Wir fordern deshalb ein Moratorium für Bruckhausen – den sofortigen Stopp der Abrissarbeiten und die Entwicklung eines neuen Sanierungskonzeptes, das den Denkmalschutz beachtet, selbstbewusst Potentiale sieht und Chancen nutzt, statt die Vernichtung unseres kulturellen Erbes und sozialer Strukturen herbeizuführen.

Geschichtswerkstatt Du-Nord, Katrin Susanne Gems, Duisburg
http://www.geschichtswerkstatt-du-nord.de/

Montag, 4. Oktober 2010

History Marketing – der Sachbucherfolg von Alexander Schug nun auf Schwedisch



Am 1. Oktober 2010 wurde in der Handelskammer von Stockholm die schwedische Buchausgabe von „History Marketing. Ein Leitfaden zum Umgang mit Geschichte in Unternehmen“ vorgestellt. Die schwedische Ausgabe ist dabei um wesentliche Aspekte ergänzt und auf den schwedischen Markt bezogen. Die Initiative für die schwedische Ausgabe ging von Susan Gohlin aus, die das Projekt für das Centrum för Naringslivshistoria umsetzte. In über vier Jahren ist das Buch gereift – der Geschäftsführer vom Centrum för Naringslivshistoria, Alexander Huseby, konnte es nun der Öffentlichkeit im Rahmen einer Podiumsdiskussion präsentieren. Führende Vertreter der schwedischen Kommunikationsbranche nahmen am Podium teil: Helena Donar (Arla Foods), Henry Sténson (Ericsson), Margareta van den Bosch (H&M) und Urban Bäckström (Svenskt Näringsliv).
Dr. Alexander Schug, Inhaber der Vergangenheitsagentur in Berlin und seit Jahren einer der führenden deutschen Anbieter für Dienstleistungen rund um das Thema Unternehmensgeschichte: „Das schwedische Projekt zeigt, dass wir etwas angestoßen haben, das für die Kommunikationsarbeit der Unternehmen in Zeiten der Globalisierung immer wichtiger wird: Identitäten zu erhalten. Unternehmensgeschichte ist dabei einer der wichtigen Schlüssel“.
Das History Marketing, der zielgerichtete Einsatz von Unternehmensgeschichte für das Marketing von Unternehmen, wird dabei selbst immer mehr zum grenzüberschreitenden Kommunikationsthema. Dienstleister wie die Vergangenheitsagentur bieten deshalb zunehmend auch global ausgerichtete Services – zusammen im Netzwerk wie dem Centrum för Naringslivshistoria unter Alexander Huseby. Das Ziel dieser Dienstleistung ist darauf gerichtet, die sich in der Globalisierung auflösenden Werte einer Unternehmenskultur weiterhin für eine diverse Mitarbeiterschaft fassbar und erlebbar zu machen. Diversity ist die Realität internationaler Unternehmungen – History Marketing definiert innerhalb der Diversity den gemeinsamen Nenner und die Leitidee, ohne die es keinen unternehmenskulturellen Sinn gibt. Aber auch zur externen Kommunikation, zur Bindung von Kunden und Geschäftspartnern, ist das History Marketing nutzbar: Denn Geschichte kreiert das notwendige Vertrauen, das ein Akteur am Markt braucht, um positiv wahrgenommen zu werden.
Die schwedische Ausgabe ist erschienen beim renommierten Ekerlids Förlag, Stockholm und kostet 298 schwedische Kronen. Weitere Angaben siehe unter: http://www.ekerlids.com oder http://www.naringslivshistoria.se/Aktuellt/

Montag, 13. September 2010

200 Jahre Museum für Naturkunde in Berlin - Jubiläumswoche und neue Sonderausstellung starten am 14. September


Johannes Peter Müller blickt Ehrfurcht gebietend oberhalb des Eingangsportals auf die Besucher des Naturkundemuseums in Berlin herab - es ist ein Standbild des früheren Direktors des Anatomisch-Zootomischen Museums (Siehe hier zu Müller). Aus diesem und zwei weiteren Sammlungen entwickelte sich das heutige Naturkundemuseum in Berlin. Müller ist nur eine wichtige Person in der wechselvollen Geschichte des Museums, zu der am 14. September eine große Jubiläumsausstellung mit dem Namen „Klasse, Ordnung, Art“ eröffnet wird. Sie thematisiert die Geschichte des Museums und seine Objekte im Kontext wechselnder politischer Verhältnisse und geistiger Strömungen. Dazu präsentiert die Ausstellung die wichtigsten der ca. 30 Millionen gelagerten Objekte. Einige von ihnen sind zum ersten Mal der Öffentlichkeit zugänglich.
Im gleichen Zug weiht das Naturkundemuseum einen neuen Sammlungsflügel ein – den im 2. Weltkrieg zerstörten Ostflügel. Er wird nach Aussage des Museums das weltweit modernste Sammlungsgebäude für so genannte „Nass-Sammlungen“, zoologische Sammlungen in Alkohol. Rund eine Million Fische, Spinnen oder Krebse finden hier in konservatorisch optimalen Rahmenbedingungen ein neues Zuhause. Weiterhin stehen Vorträge, Führungen, ein Kinderfest und Theater auf dem einwöchigen Festprogramm.


Jubiläumswoche des Naturkundemuseums in Berlin vom 14. bis 19. September 2010.
Invalidenstraße 43, 10115 Berlin, verlängerte Öffnungszeiten zur Jubiläumswoche: Di bis Fr 9.30 bis 20 Uhr, Sa 10 bis 22 Uhr, So 10 bis 20 Uhr,
www.naturkundemuseum-berlin.de


www.vergangenheitsverlag.de

Dienstag, 31. August 2010

„Nicht einfach so wie ein Schaf verhalten…“ - Interview mit André Herzberg, Sänger der Band Pankow

Die DDR wird nach wie vor kontrovers diskutiert, auch wenn sie als abgeschlossenes Kapitel deutscher Geschichte gilt. Für viele Menschen jedoch war sie gelebte Realität und damit Bestandteil ihrer Biografie. Historikerinnen und Historiker befragen in diesem Band Menschen aus der ehemaligen DDR zu ihren persönlichen Geschichten: Wie war das Leben in der DDR? Was motivierte sie, sich für oder gegen diesen Staat zu engagieren oder sich mit ihm zu arrangieren? Wie wurde der Zusammenbruch der DDR erlebt? Und wie beurteilen sie Leben und Handeln in der DDR im Rückblick?

Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Interviewband "Verlorene Zeiten? DDR-Lebensgeschichten im Rückblick. Als Vorgeschmack folgt ein Auszug aus dem Interview mit André Herzberg, Sänger der Band Pankow.


(…)

Nach der Armee haben Sie dann angefangen, Musik zu
studieren.

Ich wollte schon sehr lange Musiker werden, mit 17 oder
vielleicht noch früher. Man brauchte ja in der DDR für
alles einen Schein. Man konnte ja nicht einfach sagen:
„Ich mach’ jetzt Musik.“ Also habe ich mich in Berlin
an der Musikhochschule beworben.

Wollten Sie als Rockstar berühmt werden? Nicht ungewöhnlich
für einen 17-jährigen …

(Lacht) Ich hatte mal so ein Erlebnis mit 14, da habe
ich ein Lied gesungen mit einer Band und hab’ gemerkt,
das klappt mit den Mädchen ganz gut. Also, dass man
da sofort mit anderen Augen angesehen wird. Aber was
das für eine Welt ist, das Leben der Popstars als solches,
darüber hab’ ich gar nicht nachgedacht, das wusste ich
ja gar nicht. Dafür gab es ja in der DDR gar nicht den
Horizont. Es gab da irgendwie die Puhdys, aber die
fand ich ja ganz ätzend. Und alles, was ich so bewundert
habe, war ja eigentlich im Westen.

Welche Musik haben Sie damals gern gehört?
Ein frühes Album zum Beispiel war James Brown live,
dieses Ekstatische, was von dieser Musik rüberkam, das
hat mich wahnsinnig fasziniert: Über die Musik konnte
man was ausdrücken, man konnte da so eine Ekstase
rauslassen, die jenseits war von Sprache. So was ganz
Wildes, Innerliches, was ich vielleicht in mir glaubte zu
fühlen. Ich glaube, das hat mich gekitzelt.

Worauf sollte das Musikstudium hinauslaufen?
Man bekam einen Berufsausweis: Musiker, eine Einstufung,
und auch, wie viel Geld man bekommt. Und mit
dem konnte man auf die Bühne gehen. Ich hatte aber
mit anderen Musikern das Problem, dass das, was ich so
in meinem Kopf hatte, eigentlich gar keinen interessiert
hat. Zu der Zeit war das Wichtigste für jeden Musiker:
Wo bekomme ich die Arbeitsmittel für die Bühne her?
Instrumente, Verstärker und Gesangsanlagen. Alles kam
aus dem Westen. Das heißt, unter Musikern haben wir
eigentlich gar nicht über Musik geredet, sondern über
dieses Besorgen oder das Basteln. Man hatte ja eine
unglaubliche Fantasie entwickelt, Sachen auch selber zu
bauen. Und wenn über Musik nachgedacht wurde, dann
fast immer über das Nachspielen. Denn das Publikum
wollte eigentlich größtenteils irgendwas Internationales
nachgespielt bekommen. Wenn sie schon nicht die
Originale hören konnten, dann sollte der Musiker es
ihnen so gut wie möglich kopieren. Aber das waren
Sachen, die ich nicht machen wollte. Das heißt, ich
brauchte erstmal eine ganze Weile, bis ich überhaupt
Musiker gefunden hatte, die meine Vorstellungen teilten.
Fündig wurde ich dann bei einem Gitarristen, der mit
mir zusammen studiert hatte, der wollte zumindest
eigene Lieder schreiben – und zwar auf Deutsch, das war
mir wichtig. Gleichzeitig haben wir nachgespielt Nina
Hagen, Ian Dury – Beginn von New Wave, Ausläufer
von Punk. Wenn ich auf die Bühne gegangen bin, das war immer
so eine Form des Verkleidens. Sich die Augen anmalen,
irgendeinen Hut aufsetzen und: „WAAH!“ – die
Leute erschrecken. Das hat mir einen sagenhaften Spaß
gemacht, und so ungefähr muss man sich dann dieses
eine Jahr Gaukler Rockband vorstellen, so hieß nämlich
die Band. Wirklich mit einem Schrei auf die Bühne
und Unsinn machen.

1981 kam dann Pankow.
Genau. Veronika Fischer, das war so eine Sängerin, die
war schon sehr populär in der DDR, ging in den Westen.
Das passierte laufend, irgendwelche Leute wurden groß,
und irgendwann, wenn sie richtig groß geworden waren,
gingen sie in den Westen. Und so war das da auch, ihre
Band suchte dann einen Ersatz. In der Situation – ich
war grad rausgeflogen bei Gaukler – haben die mich
gefragt, ob ich mitmache. Naja, so kam es zur Gründung
von Pankow.

Wie würden Sie denn Pankow verorten in der DDR
Musikszene, war das etwas Neues?

Ja, damals wurde es jedenfalls von den Leuten als etwas
Neues begriffen. Auf jeden Fall. Ich meine, wir haben
mit Theaterrock angefangen – das hat es in der DDR
auf gar keinen Fall vorher gegeben. Außerdem war die
Musik für DDR-Verhältnisse sehr rockig, und die Texte
waren sehr dicht am Alltag. Wir selbst haben uns – muss
ich schon sagen – als Elite verstanden.

War Pankow eine politische Band? Ich denke da an Lieder
wie ‚Langeweile‘ ...

Ich selbst würde das immer mehr bestreiten. Ich habe
ja eigentlich immer das Gefühl gehabt, dass die Politik
in meine Lebenswelten eingedrungen ist. Von außen.
Erstmal war die DDR so ein Land, in dem du dich
nicht nach links und rechts drehen konntest, ohne
dass du nicht schon irgendwie dazu genötigt wurdest,
eine politische Aussage zu machen. Also, man wurde
sofort politisiert. Und ich meine – ‚Langeweile‘: Es
ging mir wirklich nicht darum, ein politisches Lied
zu machen, in keinster Weise. Ich habe versucht, ein
Gefühl zu beschreiben. Dass dieses Gefühl dann auch
eine politische Komponente hatte, ja, Gott, ich hab’
nichts dagegen.

Es gab einen Auftritt im Palast der Republik am 30. Januar
1983, wo Sie in Wehrmachtsuniform aufgetreten sind.

Der Anlass war 50 Jahre Machtergreifung des Faschismus.
Also, das hängt auch wieder sehr mit meiner
Biografie und ... ja, und eigentlich mit meiner Mutter
zusammen, mit ihrem Hass auf die Mitläufer ... Und
dann hatte ich mir so überlegt, es gab von uns ein Lied,
das heißt ‚Ich bin lieb‘. Das geht so: „Ich bin lieb, ich
bin immer lieb, dem lieben Gott geb’ ich seins, dem
Staat geb’ ich seins, wenn andere pfeifen – ich tanze...“,
und so weiter und so fort. Und aus diesem Lied hab’ ich
dann einen Monolog entwickelt: Was es für Gründe
gegeben hat, mit Hitler mitzumarschieren, und warum
man mit in den Krieg marschiert ist. Und das hab’ ich
dann aufgesagt und mir währenddessen eine Wehrmachtsuniform
angezogen. Also, das heißt, ich bin in
Unterwäsche auf der Bühne erschienen und erst beim
Anziehen dieser Uniform – dieser Wehrmachtshelm,
die Soldatenuniform und so weiter – wurde klar, wer
da gerade spricht.

Wurde das als Provokation empfunden?
Der ganze Auftritt, bis fünf Minuten vorher, stand
total in Frage: „Was willst du denn, was soll das alles?“
Und: „Wie meinst du das?“ Und so weiter und so fort.
Im Rundfunk wurde dann über meine Ansage drüber
gesprochen, es gab eine Live-Übertragung von dem
Konzert, und da haben sie versucht, das auf diese Weise
zu zensieren.

Warum wurde zensiert?
Weil sie Angst hatten, glaub’ ich. Vielleicht, dass der
Mitläufer 1933 der gleiche Mitläufer ist wie 1983 in
der DDR, was das ja auch suggerierte? ‚Ich bin lieb‘
ist eigentlich ein Lied, das sich auch mit der DDR-Wirklichkeit
auseinandergesetzt hat. Wenn man sich
mal reinversetzt in so einen (lacht) Polit-SED-Kulturfunktionär,
der könnte ja sagen: „Wie kann man denn
das gleichsetzen?“ Oder so.

Haben Sie das auch so gemeint?
So bewusst nicht, nein. Wie soll ich sagen? Mir ging es
um eine Abrechnung mit den Mitläufern. Dass es mit
der DDR auch was zu tun hatte, hatte ich mir so gar
nicht überlegt. So weit war ich noch gar nicht. Manchmal
hat man einen künstlerischen Einfall, da kann man
gar nicht genau sagen, was das eigentlich ist. Es ist
erstmal einfach ein Bild, ein inneres Bild.

Sie unternahmen Westreisen, waren Mitte der 80er Jahre
das erste Mal im Westen.

Ja ... (lacht). Wie der Besuch auf dem Mars.

Was haben Sie als ‚marsartig‘ erlebt?
Alles. Die Gerüche... War alles zu viel. Also, das war
so, wie wenn auf einmal das Licht eingeschaltet wird,
von grau nach Farbe, von leise nach laut. Das war
sehr, sehr anstrengend, muss ich sagen. Also gerade in
Deutschland-West konnte ich das wenig genießen. Weil
ich das immer irgendwie als anstrengend empfunden
habe: Was ist denn das? Was ist das hier alles? Das gibt’s
doch gar nicht! Man rennt wie atemlos, nachher bin
ich manchmal durch Kaufhäuser gelaufen, wie ersoffen
sozusagen, und denke, gibt’s doch gar nicht: das, das,
das, das, das, das, das ... Und irgendwann ist man so
durchgedreht, dass man sagt: „Jetzt schnell wieder in die
Zone zurück. In mein Grau, in meine graue Welt.“

Sie haben nie überlegt, im Westen zu bleiben?
Die Frage hab’ ich mir auch neulich mal wieder gestellt.
Naja, ich war dort nicht zu Hause. Ich meine, es war
ja auch ganz simpel: Im Osten habe ich mein Geld
verdient, da war meine Band, meine Familie sowieso.
Ich glaube, so einfach ist das nicht.

(…)


Das Interview führte Cornelia Siebeck

Dieses und weitere Interviews in dem neuen Interviewband des Vergangenheitsverlags: Siebeck, Cornelia / Schug, Alexander / Thomas, Alexander (Hg.), Verlorene Zeiten? DDR-Lebensgeschichten im Rückblick – eine Interviewsammlung, Berlin 2010.


www.vergangenheitsverlag.de

Montag, 23. August 2010

Micky Maus trifft Hakenkreuz - Wie eine Ausstellung mit Nazisymbolen wirbt


(Berlin, 23. August 2010) Bei einem Spaziergang stolperte ich neulich über eine Postkarte auf dem Boden – ein übergroßes Hakenkreuz prangte darauf, darunter eine nackte Micky Maus. Die Arbeit von Max Papeschi trägt den Titel „NaziSexyMouse“. Die Postkarte wirbt für eine Kunstausstellung mit dem Titel „abnormal nudes“, die vom 4. September für einen Monat im polnischen Poznan stattfinden wird. Die Mickymausierung des Nazisymbols wirkt befremdlich, wenn nicht sogar verharmlosend und ruft dementsprechend starke Emotionen hervor: Mehrmals wurden die Mitarbeiter der Galerie, die eine Zweigstelle in Berlin hat, als Nazis beschimpft, ihnen wurde sogar mit dem Tod gedroht. Großflächige Plakate, die für die Ausstellung werben sollten, wurden mehrfach zerrissen.

Der Galerieinhaber, Roman Nowak, rechtfertigt sich in einem offenen Brief auf seiner Website www.abnormalsgallery.com: Die Verwendung von Nazisymbolen für künstlerische Werke sei in Polen nicht verboten. Zerstörung und Beleidigung jedoch sehr wohl. Reichlich unglücklich formuliert, vergleicht der Inhaber auf seiner Website Galerien mit neuen „Ghettos“, der einzige Raum, in dem Kunst heutzutage überleben könne. Dabei hätte laut Nowak Kunst doch die Aufgabe, Teil der Gesellschaft zu sein, Fragen zu stellen, auf die man sich Antworten, keine Zerstörung erhoffe. Besonders pikant: Die Abnormals Gallery liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zur Alten Synagoge, die nach dem Einmarsch in Polen von den Nazis in ein Schwimmbad umgewandelt wurde.

www.vergangenheitsverlag.de

Samstag, 14. August 2010

I will survive - KZ-Überlebender tanzt in Auschwitz

Eine ungewöhnliche Vergangenheitsbewältigung polarisiert im Netz: Ein 89-Jähriger, der den Holocaust überlebte, tanzt den Pop-Hit „I will survive“ an Schauplätzen von Naziverbrechen:


Donnerstag, 5. August 2010

Vergangenheitsverlag gewinnt im Förderwettbewerb „Evolving books“

Die Gewinner im Förderwettbewerb „Evolving Books“ der Senatsinitiative „Berlin – Made to Create“ stehen fest. Der Vergangenheitsverlag überzeugte mit einem digitalen Stadtführer zur Geschichte und Gegenwart Berlins in Form einer multimedialen Topografie der Stadt. Kernstück sind Inhalte aus Text, Ton sowie Bild und Video am Fallbeispiel des Schlossplatzes. Die anvisierte bedienerfreundliche Darstellung multimedialer Inhalte zeigt hierbei einen ausbaufähigen Projektcharakter auf. Der Vergangenheitsverlag arbeitet bei dem Projekt mit der HTW Berlin, Fachbereich Angewandte Informatik (Prof. Carsten Busch), der Filmproduktionsfirma Rixfilm, dem Grafik-Designer Stefan Berndt und dem Autor Peter Just zusammen.

Weiterer Gewinner ist der Berlin Verlag mit der Idee einer medialen Überarbeitung von Kinderbüchern mittels Digitalisierung und Erweiterung mit interaktiven Komponenten. Hierbei werden insbesondere eine Mitlesefunktion, Audiobeiträge und vertiefende Sachhinweise in Kombination mit Animationen interaktiver Charaktere und Spielabschnitten aus dem Handlungsrahmen des Buches präsentiert.

Der Vorschlag eines virtuellen Chemiebaukastens vom Cornelsen Verlag beschreibt die Verlinkung des klassischen Lehrbuchs mit einem haptisch erlebbaren Periodensystem mittels der „Augmented Reality Technology“. Eine Idee um den relevanten Lernstoff für die Schüler zukünftig in Medien des 21. Jahrhunderts zu transportieren.

Den Sonderpreis von 5.000 EURO erhält das Berliner Pictoplasma Project. Die Digitalisierung der in ihrer Eigenart beispiellosen Enzyklopädie über reduzierte grafische Figuren, sogenannte Icons, soll hiermit gefördert werden, um dem Anspruch, neue Märkte und Leserkreise auch für Nischenprodukte zu gewinnen, gerecht zu werden.

Wirtschaftssenator Harald Wolf: „Die Landesinitiative Projekt Zukunft fördert und vernetzt die Berliner IT- und Kreativwirtschaft. Die Resultate sind beachtlich: Das Cluster ist in den vergangenen Jahren auf 29.000 Unternehmen mit fast 223.000 Erwerbstätigen und einem Umsatz von über 22 Mrd. EURO gewachsen. Wettbewerbe für die IT- und Kreativwirtschaft werden die bisherigen Förderstrategien ergänzen. ‚Berlin – Made to Create’ – soll dazu beitragen, den Creative Industries in Berlin zusätzliche Impulse zu geben.“

Eine hochrangig besetzte Jury hat aus den Einreichungen die drei Projektvorschläge ausgewählt, für deren Umsetzung pro Projekt max. 25.000 EUR als Zuwendung bewilligt werden. Zudem wird den Gewinnern durch die Vorstellung der Projekte auf der Frankfurter Buchmesse (08.10.2010) sowie im Rahmen des Fachkongresses Homer 3.0 im November 2010 ein Forum geboten. Das gilt auch für den Gewinner des Sonderpreises in Höhe von 5.000 EURO.

Der vierte Förderwettbewerb aus der Berliner Landesinitiative Projekt Zukunft erlebte erneut großen Zuspruch: 19 Projektvorschläge mit zusätzlich insgesamt 20 Partnern zeigten Vorstellungen zur Weiterentwicklung des digitalen Buches auf. Das Teilnehmerfeld setzte sich aus Unternehmen der Verlagswirtschaft, der Software- und Computerspielbranche sowie auch Unternehmen der Audio- und Filmproduktion zusammen, wobei ein Drittel aus der erstgenannten Gruppe der Verlage und somit aus der ureigensten Buchwirtschaft stammte. Der Konzeption des Wettbewerbs entsprechend, gängige E-Books als lediglich digitale Transformation des Gedruckten um neue Dimensionen zu erweitern, reichten die Vorschläge von Interaktion zwischen Buch und Spiel oder Buch und Lernen bis hin zu Hybridprojekte, die das Buch mit multimedialem Content verbinden und dem Leser digitale Zusatzfunktionen im Text offerierten.

Montag, 19. Juli 2010

Neuerscheinung: Knigge – Über den Umgang mit Menschen


(Berlin, 19. Juli 2010) In der Reihe „Mobile Books“ des Vergangenheitsverlags gibt es eine Neuerscheinung – die Mutter aller Benimmbücher, Knigges Original „Über den Umgang mit Menschen“ kann ab sofort über unseren Partner textunes direkt auf Ihr i-Phone geladen werden.

Bereits zu Lebzeiten Knigges (1752-1796) war das 1788 erschienene Buch ein großer Erfolg und wurde mehrmals aufgelegt. Als Adolph Freiherr Knigge, Spross einer verarmten niedersächsischen Adelsfamilie, 1796 starb, wurde sein Buch von verschiedenen Herausgebern wiederholt umgeschrieben und in neuer Gestalt publiziert. Im Laufe der Zeit wurde es so immer mehr zu einem Benimmratgeber, das mit Knigges eher soziologisch ausgerichtetem Werk nichts mehr gemein hat.

Bis heute wurde „der Knigge“, wie das Werk oft nur kurz genannt wird, millionenfach gelesen und gilt als einer der großen Sachbuchklassiker der Literaturgeschichte. Doch „Über den Umgang mit Menschen“ ist auch ein Zeitdokument, das als historische Quelle gelesen werden kann. Gehen Sie mit Knigge auf eine Zeit- und Entdeckungsreise ins 18. Jahrhundert, in der die „normalen“ Menschen anfangen, sich selbst als Akteure zu verstehen, die sich in den vorgefundenen und ändernden Verhältnissen im Zeitalter der Aufklärung orientieren, sprich neu „benehmen“ müssen.

Adolph Freiherr von Knigge, Über den Umgang mit Menschen auf der Website des Vergangenheitsverlags oder über unseren Kooperationspartner textunes.

www.vergangenheitsverlag.de

Montag, 12. Juli 2010

Meer Berlin - Die Hauptstadt zu Wasser erobern


(Berlin, 12. Juli 2010) „Berlin am Meer, wenn es so wär'“ trällerte die Hauptstadtcombo Jeans Team 2004 und lieferte einen genialen Sommersong mit elektronischer Unterlegung. Dass man diesen Gedanken nicht im Konjunktiv formulieren muss, wusste schon Conny Froboess, die sang „Pack die Badehose ein...“ und empfahl West-Insulanern den Wannsee als Adriaersatz. Berlin ist nicht nur für Landratten geschaffen, denn es hat längere Wasserstraßen und mehr Kanalbrücken als Venedig. Schiffbauerdamm und Fischerinsel, Grachten und Werften zeugen von einer „maritimen Tradition“, die noch unentdeckt ist. Wannsee und Müggelsee im Südwesten bzw. Osten der Stadt sind große Naherholungsgebiete. Strandbars in der ganzen Stadt laden zum Chillen ein. Wofür sollte man überhaupt in den Süden fahren?

Berlin ist ein Meer mit viel Wasser. Diese Perspektive war Ausgangspunkt eines Buchprojekts, das im Mai 2010 unter dem Titel "Meer Berlin. Die Hauptstadt zu Wasser erobern" erschienen ist (siehe: www.vergangenheitsverlag.de oder im Buchhandel).
Berlin ist eine Stadt am Wasser, sowieso ein urbanes Meer. Das Buch zeigt, wie man mit und ohne Bootsschein aufs Wasser kommt, wo man Boote leiht und wie man sich auf Wasser verhält. Zugegeben: Berlin liegt nicht am Meer, aber Kanäle, Spree und Havel bieten ausreichend Abenteuer, zu denen man per Paddelboot, Wassertaxi oder mit Motorbooten aufbrechen kann. Entlang der vorgeschlagenen Routen auf Berlins Wasserstraßen wird Sehenswertes vorgestellt, Anlegestellen markiert und Tipps für Landgänge vorgeschlagen.

Bis auf wenige Ausnahmen ist es in ganz Berlin möglich, mit allen Bootstypen fast alle Wasserstraßen zu befahren. Sollten Sie keine Jolle haben, dann entern Sie hand-, solar- oder brennstoffbetriebene Boote. Wenn Ihnen das nicht reicht, können Sie auch Flöße mieten, Einbäume bauen oder mit der Luftmatratze losziehen – natürlich alles auf eigene Gefahr. Womit auch immer Sie unterwegs sein wollen, in „Meer Berlin“ erfahren Sie etwas über den Untersatz Ihrer Wahl, wo Sie ihn bekommen und wo Sie ihr Gefährt am besten einsetzen, um Berlins Gewässer zu erobern. Das Buch beschreibt auf insgesamt vier Touren das maritime Berlin: Im Nordwesten geht’s durch Spandau und Reinickendorf sowie Charlottenburg, die Tour durch Mitte geht an den großen Sehenswürdigkeiten vorbei, die Tour Süd-Ost streift Treptow, Kreuzberg und Neukölln und im Süden geht’s über den Teltowkanal von Köpenick nach Potsdam.

Auf jeder Tour des Buches werden Geschichten am Rande erzählt: Von kapitalen Fischen und alten Wohnutopien, von Bootsbauerinnen und Fischerleidenschaften. So wird am Ende eine kleine Kulturgeschichte der Berliner Wasserstraßen erzählt – und etwas davon, was sich an den Ufern und den Häfen Berlins in den letzten Jahrhunderten bis heute getan hat. So wird auch die Geschichte der Amphicars erzählt, die in den 1960er Jahren in Spandau die Fabrik verließen und wahrscheinlich das Beste sind, was je in Berlin an wassertauglichen Untersätzen gebaut wurde. Zwar ging die Firma kurze Zeit später Pleite, aber dennoch zeigt sich auch hier, was die Stadt und ihr Wasser für Ideen produzierten. Immerhin ist das Berliner Amphicar heute eine Rarität und wird hoch gehandelt.

Meer Berlin zeigt auch was unter Wasser los ist: In den Berliner Gewässern tummeln sich etwa 13 Fischarten, vor allem Barsche, Aale, Hechte, Schleien und Karpfen. Vereinzelt finden sich auch Goldfische, Moderlieschen und Ukeleien, aus deren Schuppen man früher silbrig schimmernde Kunstperlen fertigte. Fische haben eine besondere Bedeutung für die Stadt: Die ersten Berliner haben vom Fischfang gelebt. Während fast jeder Ur-Berliner früher zum Fischen gezwungen war, um zu überleben, gibt es heute nur noch einige Dutzend echte Fischer in der Stadt. Insgesamt sind es 16 Haupterwerbs- und 14 Nebenerwerbsbetriebe, in denen in der Regel nur eine Person arbeitet. Diese letzten Ur-Berliner bieten fangfrischen Fisch an – aus städtischen Gewässern. Was manchem seltsam anmuten mag (Fisch aus Berlin), lohnt auf jeden Fall die Probe auf’s Exempel (die Adressen aller Berufsfischereien finden sich unter Senatsverwaltung Bereich Umwelt). Mit einem Jahresgesamtumsatz von rund 0,5 Millionen Euro ist die Berliner Berufsfischerei eher unbedeutend, aber immerhin tragen die einsamen Fischer auf den Meeren Berlins zur Hege, Pflege und einem ausgewogenen Fischbestand bei.

Das man nicht nur Fisch aus der Spree essen, sondern bald auch wieder gefahrlos in ihr baden kann ist die Vision des Landschaftsarchitekten Ralf Steeg, der mit seinem Projekt „Spree 2011“ eine erneute Nutzbarmachung des Hauptstadtflusses ansteuert. Einleitungen von Abwasser sollen durch Auffangbehälter reduziert, der Erholungswert vergrößert werden. Eine erste Anlage soll ab Sommer 2010 gebaut werden.

Meer Berlin“ kann man online über den Shop des Vergangenheitsverlags oder überall im Buchhandel kaufen.

Spree 2011, das Projekt zum Baden in der Spree.

www.vergangenheitsverlag.de

Mittwoch, 7. Juli 2010

Auch Paul kann irren - Warum Deutschland das Halbfinale gewinnen wird

(Berlin, 07. Juli 2010) Der Schock ist immer noch groß: Krake Paul hat im Halbfinale gegen Deutschland getippt. Das Orakel aus dem Oberhausener Sealife hatte bis jetzt mit allen seinen Deutschland-Tipps in dieser Fußballweltmeisterschaft richtig gelegen – doch sofort wurde die Treffsicherheit des Tintenfischs revidiert, schließlich hatte Paul 2008 beim EM-Spiel Deutschland gegen Spanien daneben gelegen. Dafür spricht auch, dass Stachelschwein Leon aus dem Chemnitzer Tierpark zwar die Birne mit der spanischen Flagge bevorzugte, mit all seinen Prognosen bis jetzt jedoch falsch lag. Klare Indizien für einen deutschen Sieg.

Doch auch statistisch stehen die Chancen der DFB-Elf gut, schließlich gehört sie zu den erfolgreichsten Mannschaften der Welt – bereits siebenmal standen sie im Endspiel einer WM, drei Mal holten sie den Titel. Nur zwei Mal trat das deutsche Team nicht zu einer WM an: 1930 verzichtete man auf eine Teilnahme in Uruguay, wahrscheinlich aufgrund der hohen Kosten und des Aufwands. Eine Beförderung der Mannschaft hätte damals auf dem Seeweg gut zwei Wochen in Anspruch genommen. 1950 war die deutsche Mannschaft aufgrund des Ausgangs des zweiten Weltkriegs von der Teilnahme in Brasilien ausgeschlossen, doch schon vier Jahre später folgte das allseits bekannte Wunder von Bern.

Der Stern vermeldet außerdem, dass Deutschland ein WM-Spiel gegen Spanien noch nie verloren hat. Denn tatsächlich wurde Spanien zwar zweimal Europameister, 1964 und 2008, einen Weltmeistertitel hingegen gewannen sie noch nie. Lediglich ein undankbarer vierter Platz im Jahr 1950 ist bisher die beste spanische Platzierung bei einer Weltmeisterschaft. Mindestens auf Platz vier wird es die spanische Auswahl auch dieses Jahr schaffen.

Mehr Fußballwissen gibt’s hier: Florian Reiter, Der Kick mit dem Ball, Berlin 2009.

Dienstag, 29. Juni 2010

Der Drachenbändiger: 12 Fragen an Wolfgang Schwerdt (Auszug)

Woher kommt eigentlich deine Faszination für Drachen?
(…) Natürlich hatten mich Drachen schon seit meiner Jugend fasziniert, denn ich war ein begeisterter Leser aller Literatur, die mit Sagen, Mythen und Legenden zu tun hatte. Schwabs schönste Sagen des klassischen Altertums, die germanischen Götter- und Heldensagen und nicht zuletzt natürlich die Ilias und die Odyssee, um nur einige zu nennen. Und da gehören Drachen selbstverständlich immer dazu.

Wie wird man ein Drachenexperte?
Drachenforschung ist eine recht komplexe Angelegenheit und Drachenexperte zu werden erfordert schlicht und ergreifend universelle Interessen, erfordern das, was man in der Neuzeit einen Gelehrten nannte, einen vielseitig Belesenen und Informierten. (…) Für den kulturgeschichtlich orientierten Drachenforscher ist der Drache nicht Ausgangspunkt, sondern Ergebnis und Ausdruck kulturgeschichtlicher Prozesse. Und so gehören zur Drachenforschung linguistische Fragestellungen ebenso wie die Untersuchung sozialer Organisationsformen, die Funktion und Entstehung von Ideologien, Literaturanalyse- und Quellenkritik, Technik- und Kunstgeschichte, Kenntnisse über Archäologie und ihre Methoden und vieles, vieles mehr. Ein wenig von dem, was hinter einer kulturgeschichtlichen Drachenforschung so alles steckt, wird sicherlich im Rahmen meines nächsten Buches mit dem nahezu programmatischen Titel „Andre Zeiten, andre Drachen“ erahnbar sein.

Demnächst kommt ja noch ein anderes Drachenbuch von dir heraus. Kannst du uns schon etwas darüber verraten?
Nichts lieber als das. Ich hatte es oben schon angedeutet, es handelt sich um ein kleines Sachbuch zur Kulturgeschichte des Drachen und heißt ‚Andre Zeiten, andre Drachen’. (...) In diesem Buch aus der Reihe kleine Kulturgeschichten spanne ich den Bogen von der Entstehung der westlichen Drachenvorstellung in Vorderasien und deren gesellschaftliche und kulturelle Bedeutung in Europa über einen Zeitraum von nicht weniger als 10.000 Jahren, bis heute. Das beginnt bei den recht kantigen göttlichen Drachen der babylonischen Schöpfung und endet bei den sehr stromlinienförmigen Drachen der Fantasy unserer Zeit.

Jetzt kommt natürlich noch die Glaubensfrage: Gibt es Drachen tatsächlich?

Für viele Mensche gibt es Drachen, sei es als biologische Wesen in Form der Komodowarane auf den Galapagosinseln oder der Saurier, sei es als innere kosmische Kraft einer esoterischen Lehre, sei es als Archetypus der Tiefenpsychologie. Für mich existiert der Drache ausschließlich als kulturgeschichtliches Phänomen, als real begriffenes Modell komplexer natürlicher oder gesellschaftlicher Prozesse.

Mit freundlicher Genehmigung von „Crazy Cultue Clap“. Das kpmplette Interview gibt es hier: http://crazy-culture-clap.com/2010/06/09/der-drachenbandiger-12-fragen-an-wolfgang-schwerdt/

Im Herbst 2010 erscheint das Taschenbuch „Andere Zeiten, andere Drachen“ im Vergangenheitsverlag: www.vergangenheitsverlag.de

Montag, 21. Juni 2010

65 years after World War II - Reflections of a Nuremberg prosecutor


Vortrag von Prof. Dr. Benjamin Ferencz (Chefankläger in den Nürnberger Einsatzgruppen-Prozessen) im Audimax der Humboldt-Universität, Berlin

Bericht: Der Chefankläger im „größten Mordprozess der Geschichte“, dem Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess, Prof. Dr. Benjamin Ferencz, hielt am 28. Mai 2010 einen öffentlichen Vortrag im Audimax der Humboldt-Universität zu Berlin. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei (SiPo) und des Sicherheitsdienstes (SD) waren Sondereinheiten des NS-Regimes, welche besonders im Krieg gegen die Sowjetunion 1941-1945 Massenmorde an der Zivilbevölkerung begingen. Mitglieder der Einsatzgruppen waren meist Angehörige der SS, aber auch zahlreiche deutsche Polizeibeamte. Insgesamt ermordeten die Einsatzgruppen ca. eine Million Menschen, darunter Juden, Sinti und Roma sowie politische Gegner des NS-Regimes wie Kommunisten und Partisanen. Die Führer der Einsatzgruppen berichteten stets detailliert über die Tötungsaktionen nach Berlin. Diese Akten wurden nach dem Krieg gefunden und bildeten die Basis für den Einsatzgruppen-Prozess von 1946/47. Der Prozess fand nach dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess unter alleiniger Verantwortung der USA vor einem amerikanischen Militärgericht statt. Alle 22 Angeklagten dieses Prozesses, darunter SS-Gruppenführer Otto Ohlendorf, wurden schuldig gesprochen; 14 erhielten die Todesstrafe. Vier dieser Todesurteile wurden am 7. Juni 1951 vollstreckt, die übrigen wurden in teilweise lebenslange Haftstrafen umgewandelt.

Benjamin Ferencz war mit 27 Jahren der jüngste Chefankläger im Einsatzgruppen-Prozess. Er wurde 1920 in Rumänien geboren und wuchs in den USA auf. Während seines Jurastudiums in Harvard befasste er sich besonders mit Völkerrecht. Während des Krieges kam er zunächst als einfacher Infanteriesoldat nach Europa, erlebte jedoch die Befreiung mehrerer Konzentrationslager. Nach seiner Entlassung aus dem Militär rief ihn jedoch das amerikanische Militärtribunal unter der Leitung von Robert M. Jackson zurück nach Deutschland: Ferencz sollte die Anklage gegen die Kommandeure und Führer der Einsatzgruppen leiten.

Auch nach den Nürnberger Prozessen setzte sich Ferencz weiterhin für den Aufbau eines starken Völkerrechts ein; er gehört zu den Wegbereitern und langjährigen Unterstützern des Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag (IStGH). Er veröffentlichte zudem mehrere grundlegende Werke zum Thema und lehrte als Professor für Internationales Recht in New York. Am 27. Mai 2010 wurde Benjamin Ferencz für seinen lebenslangen Einsatz für das Völkerrecht im Auswärtigen Amt mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Der Vortrag von Prof. Dr. Ferencz am 28. Mai stieß auf breites Interesse, das Audimax der Humboldt-Universität war bis auf den letzten Platz gefüllt. Der über 90jährige bedeutende Zeitzeuge des Weltkrieges, wurde Zeuge schlimmster Menschenrechtsverletzungen und erlebte die Sternstunden der Entwicklung des internationalen Völkerrechts. Er referierte u. a. über seine persönlichen Erfahrungen und ausführlich über seine Ermittlungen gegen die NS-Kriegsverbrecher. Zum Abschluss seines Vortrages machte er den Anwesenden Mut, auch weiterhin für internationale Gerechtigkeit und letztlich weltweiten, dauerhaften Frieden zu kämpfen. Er, der gegen die Täter des größten Massenmords der Weltgeschichte ermittelt hat und sie angeklagt hat, sei ein „optimistic realist“ was die Errichtung wirkungsvoller internationaler Strafmaßnahmen gegen Kriegsverbrechen betrifft.

Organisiert wurde dieser Vortrag von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft sowie dem Lehrstuhl Prof. Dr. Werle für deutsches und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und Juristische Zeitgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Vortrag von Prof. Dr. Benjamin Ferencz im Audimax der Humboldt-Universität (Video)

Donnerstag, 10. Juni 2010

Verlorene Zeiten? Video zur Buchneuerscheinung

Die Herausgeber der Interviewsammlung "Verlorene Zeiten", Alexander Thomas und Cornelia Siebeck, haben ein gutes Stück Arbeit hinter sich: Über 2 Jahre lang dauerte die Arbeit an dem Buchprojekt, bei dem annähernd ein Dutzend Interviewer und die Berliner Fotografin Monique Ulrich mitgearbeitet haben. Historikerinnen und Historiker befragen in diesem Band Menschen aus der ehemaligen DDR zu ihren persönlichen Geschichten: Wie war das Leben in der DDR? Was motivierte sie, sich für oder gegen diesen Staat zu engagieren oder sich mit ihm zu arrangieren? Wie wurde der Zusammenbruch der DDR erlebt? Und wie beurteilen sie Leben und Handeln in der DDR im Rückblick? Zu Wort kommen dabei nicht nur bekannte Persönlichkeiten wie der Politiker Hans Modrow, der Theologe Hans Misselwitz, die Künstler Klaus Kordon, Bert Papenfuß oder André Herzberg (Sänger der DDR-Kultband „Pankow“), sondern auch ein Bergsteiger, eine Kulturbundsekretärin oder eine Altenpflegerin. Insgesamt entsteht eine außergewöhnlich eindringliche, aber auch widerspruchsvolle Momentaufnahme subjektiver Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit 20 Jahre nach dem Mauerfall. In einem sind sich die Interviewten dabei einig: Verlorene Zeiten waren das nicht. Thomas und Siebeck erzählen in dem Video, was sie an der Fragestellung besonders gereizt hat.

Der Euro-Rettungsschirm: Kredite zur Sanierung der Staatsfinanzen oder Begleichung deutscher Kriegsschulden?


(Berlin, 10.06.2010) Seit Anfang Juni ist das Hilfspaket für Griechenland und andere schwächelnde Eurostaaten geschnürt: Von 750 Milliarden Euro bürgt Deutschland mit 148 Milliarden für den größten Anteil. Ob wir das Geld jemals wieder sehen oder ob es unter „Reparationen“ für die Verbrechen des Naziregimes im II. Weltkrieg ver-bucht wird, steht auf einem anderen Blatt. So plötzlich wie diese Frage im Februar 2010 von einigen konservativen Abgeordneten im griechischen Parlament auf die Tagesordnung gesetzt wurde, so schnell war sie auch wieder aus der öffentlichen Diskussion verschwunden. Hinter den Kulissen wird jedoch weiter diskutiert, gestritten und gepfändet, vermutlich bis zur Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs (IGH) 2011. Die Bundesregierung hatte das Gericht Ende 2009 angerufen, nachdem Opferanwälte aus Griechenland in Italien Immobilien und Vermögen der Bundesrepublik gepfändet hatten. Der IGH hat nun die Aufgabe, zu klären, ob Deutschland Griechenland und anderen ehemals besetzten Staaten Reparationen für die Verbrechen und Zerstörungen des II. Weltkriegs schuldig geblieben ist; eine völkerrechtliche Frage, deren Klärung ganze Aktenkilometer füllt.

Die Bundesregierung versucht sich mit juristischen Winkelzügen aus der Verantwortung zu ziehen. So wurde peinlich genau vermieden, den 2+4 Vertag einen Friedensvertrag zu nennen, da nach einem Abkommen von 1953 die Frage der Reparationen mit der Wiedervereinigung und der Unterzeichnung eines Friedensvertrages wieder aktuell werden würde. Und überhaupt seien die Ansprüche der Opfer des II. Weltkriegs heute verjährt. Wann verjährt aber Mord und lässt sich beispielsweise im griechischen Fall der Mord an 218 unschuldigen Menschen, wie in der griechischen Ortschaft Distomo geschehen, in Geld aufwiegen? Vor griechischen und italienischen Gerichten haben die Opfer und Angehörige der Opfer von Distomo bereits Entschädigungsansprüche erstritten. Als die Bundesregierung die Zahlungen mit dem Verweis auf die Immunität von Staaten verweigerte, setzten die Opferanwälte die Pfändung von Vermögen der Deutschen Bahn in Italien und Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gegen die in deutschem Staatseigentum stehende Villa Vigoni durch. Der Gerichtshof wird vermutlich 2011 entscheiden, ob die Opfer von Distomo Anspruch auf Entschädigung haben, wie sie ehemaligen NS-Zwangsarbeitern mit der Einrichtung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im Jahr 2000 zugestanden wurde.

Die Krux des Verfahrens liegt darin, dass eine Klage von Privatpersonen gegen einen Staat nicht möglich ist. Theoretisch müssten die Opfer von 1944 die Täter von damals verklagen. Verwirft der IGH diese Auffassung, wie die italienischen und griechischen Gerichte vor ihm, haben die Opfer von Distomo oder ihre Angehörigen gute Aussichten Entschädigungszahlungen zu erhalten. Die Zeit arbeitet jedoch gegen sie.

Leichter haben es die Italiener, deren Regierungsvertreter Reparationen für die Zeit der deutschen Besatzung gefordert haben. Käme es zum Prozess, stünde ein Völkerrechtssubjekt einem anderen gegenüber. Die Frage der Reparationen müsste dann neu entschieden werden. Mit den Entschädigungsforderungen der Opfer von Distomo hängt sie nur durch die Nutzung des „Trittbrettfahrereffekts“ zusammen. Die Gegenüberstellung beider Forderungen macht jedenfalls deutlich, dass die Recht-sprechung und Gerechtigkeit verschiedene Dinge sind.

Martina Lehnigk

Dienstag, 8. Juni 2010

Wie finster war das Mittelalter in Berlin wirklich?


Interview mit der Autorin des Buches „Civitas Berolinensis. Geschichtstouren zu den Anfängen der Hauptstadt

1. Frau Kühnel, Ihr Buch "Civitas Berolinensis. Geschichtstouren zu den Anfängen der Hauptstadt" ist letzte Woche erschienen. Wieso ist das Mittelalter in Berlin so spannend?

Beim Stichwort Berlin denken die meisten Menschen zuerst an die Kaiserzeit oder an die Teilung der Stadt. Dass die Metropole Berlin jedoch viele hundert Jahre älter ist und aus zwei kleinen Siedlungen, Berlin und Cölln, erwachsen ist, ist für viele kaum vorstellbar – und tatsächlich hat Berlin noch einige mittelalterliche Sehenswürdigkeiten zu bieten, zum Beispiel die Stadtmauer, die Heilig-Geist-Kapelle oder die Ruine des Franziskanerklosters. Diese und viele weitere Stationen sind in meinem Buch zusammengefasst in drei Geschichtstouren zu Berlin, Cölln und Spandau, mit denen man auf Entdeckungsreise gehen kann.

2. Was war das größte Problem bei den Recherchen?

Die schriftliche Quellenlage zum Mittelalter im Berliner Raum ist im Vergleich mit anderen Städten eher dürftig. Nicht mal eine Gründungsurkunde von Berlin oder Cölln existiert. Daher versuchen Archäologen seit vielen Jahren und aktuell mit den Ausgrabungen um den Petri- und Schlossplatz neue Erkenntnisse zu gewinnen, die ich in mein Buch habe einfließen lassen.

3. Sie stellen in „Civitas Berolinensis“ unterschiedliche Touren mit vielen Stationen mittelalterlicher Überreste vor. Welche Station ist für Sie besonders faszinierend?

Die gesamte Tour durch das mittelalterliche Cölln auf der Fischerinsel steht im besonderen Kontrast zum heutigen Stadtbild – mehrspurige Straßen, Verkehrslärm, Wohnblocks monoton aneinandergereiht. Auch ich als Historikern konnte es auf meinen Recherchetouren manchmal kaum glauben, dass hier das Zentrum Berlins gelegen haben soll. Umso wichtiger ist es, diese Gegend als historische Mitte angemessen zu würdigen und den Menschen in Erinnerung zu rufen.

4. Für wen ist dieses Buch besonders interessant?

„Civitas Berolinensis“ richtet sich an ein geschichtsinteressiertes Laienpublikum – vom Schüler bis zum Rentner, das Buch bietet mittelalterliche Geschichte zum Entdecken für jedermann. Es ist anschaulich bebildert und durch Kartenmaterial, eine Zeittafel und weitere Ausflugstipps im Berliner Raum ergänzt.

Mittwoch, 19. Mai 2010

Haben die Wikinger den „menschlichen Kreis“ geschlossen?


Vortrag und Gespräch anlässlich der UNESCO-Nominierung von Haithabu und Danewerk in Schleswig-Holstein

Am 18. Mai fand in der Vertretung des Landes Schleswig-Holstein beim Bund eine Veranstaltung zur Bewerbung der Orte Haithabu und Danewerk um den Status des UNESCO-Weltkulturerbes statt. Die Wikingerstätten Haithabu und Danewerk sollen mit sechs anderen Stätten in Island, Dänemark, Schweden und Norwegen als Weltkulturerbe nominiert werden. Haithabu war die erste frühmittelalterliche Stadt Nordeuropas und ein bedeutender überregionaler Handelsplatz. Das Danewerk war eine etwa 26 Kilometer lange Befestigungsanlage, welche die Südgrenze des entstehenden dänischen Königreiches bildete.
Bereits in seiner Einführung erläuterte Staatssekretär Maurus die Anstrengungen des Landes, die Nominierung zu erhalten, unter anderem mit einer aufwendigen Modernisierung des Wikingermuseums von Haithabu. Mit Haithabu hätte Schleswig-Holstein dann zusammen mit der Hansestadt Lübeck und dem Wattenmeer die dritte Weltkulturerbestätte.
Der folgende, sehr lebendige und spannende Vortrag von Prof. von Carnap zeichnete ein Bild der Wikinger jenseits von ihrem Image als „böse Buben“ des Frühmittelalters oder Hollywoodproduktionen und Zeichentrick. So trugen die Wikinger beispielsweise nie gehörnte Helme. Die wichtigsten Fundstücke aus der Zeit der Wikinger sind natürlich Schiffe, doch auch die Häfen stellen wichtige Fundstätten dar, so auch Haithabu, wo der Ring der Stadtbefestigung noch gut erkennbar ist. Auch die weiten Handels- und Beutefahren der Wikinger lassen sich anhand von Funden nachvollziehen, so wurden islamische Dirhams und Toneier aus Kiew in den ehemaligen Städten der Wikinger gefunden. Sogar in der Hagia Sofia in Istanbul befindet sich ein in Runenschrift verfasstes „Graffiti“ eines Wikingers.
Ihre hoch entwickelte Seefahrtstechnik führte die Wikinger auch bis nach Grönland und nach Nordamerika. Auf Grönland trafen die Wikinger dann auf die aus dem Osten nach Grönland gekommen Inuit und schlossen somit den „menschlichen Kreis“ auf der nördlichen Halbkugel. Die Bezeichnung Grönland (=Grünland) für die eisige Insel im Nordatlantik entlarvte Prof. von Carnap als den Versuch, die Insel für die damalige Besiedlung attraktiv zu machen.
Das folgende Gespräch unter Leitung der ZDF-Kulturredakteurin Carola Wedel drehte sich vor allem um die Frage, wie wahrscheinlich die Anerkennung des Status als Weltkulturerbe sei. Denn Deutschland hat bereits 33 UNESCO-Weltkulturerbestätten, auch international gibt es eine deutliche Konzentration der Weltkulturerbestätten in Europa. Daher darf jeder Staat pro Jahr nur einen Ort als Weltkulturerbe vorschlagen, in Deutschland führt der Kulturföderalismus dazu, dass jedes Bundesland nur alle 16 Jahre einen Ort vorschlagen kann. Daher erklärt sich auch die Federführung Islands in diesem Projekt, Schleswig-Holstein könnte in den nächsten Jahren gar keinen Ort vorschlagen. Leider konnte die isländische Vertreterin aufgrund der vulkanischen Aschewolke nicht an der Gesprächsrunde teilnehmen. Dennoch wurde die internationale Ausrichtung des Projektes allseitig begrüßt, auch wenn ein solcher Prozess für die UNESCO offenbar noch Neuland bedeutet. So sind verschiedene Teile des römischen Limes in Deutschland und Großbritannien unabhängig voneinander zum Weltkulturerbe erklärt worden.
Besonders das Alleinstellungsmerkmal in Verbindung mit einem guten Plan zur Erhaltung des Denkmals kann zu einer positiven Entscheidung der UNESCO führen, doch in diesem Punkt zeigten sich alle Beteiligten sehr optimistisch, die harten Auflagen der UNESCO auch in Zukunft erfüllen zu können.
Auch von der Wichtigkeit einer breiten touristischen Vermarktung waren sämtliche Vertreter überzeugt, folglich waren auch die wichtigsten Vertreter der schleswig-holsteinischen Tourismusindustrie nach der Veranstaltung im Foyer vertreten, als der Abend bei nordmännischem Ochsenbraten aber leider ohne Met ausklang.
Thomas Claes

Montag, 10. Mai 2010

Buchpräsentation: Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung


In den Räumen der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur stellte Meinhard Stark vor kurzem sein Buch „Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung“ vor. Auf dem Podium saßen neben Stark auch die ehemaligen Gulag-Häftlinge Karl Heinz Vogeley und Lothar Scholz. Starks sachliche Buchvorstellung bildete einen starken Kontrast zur lebendigen, detailreichen Erzählweise der geladenen Gäste. Der Autor berichtete von mehreren 100.000 Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg als „Politische“, gemeinsam mit russischen Kriminellen und Verschleppten aus 26 anderen Nationen, schwere Zwangsarbeit verrichten mussten. Der Entlassung folgten oft neue Gerichtsverfahren, der Weg in die Verbannung oder die Überwachung durch KGB oder Stasi. Den „Entlassenen“ wurde so jede Hoffnung auf eine selbstbestimmte Zukunft genommen.

Besonders Karl Heinz Vogeley war deutlich anzumerken, dass er bisher selten öffentlich über das Erlebte berichtet hatte. Mit beiden Händen umklammerte er das Mikrofon und erzählte, dass er gerade einmal 16 war, als er zu 15 Jahren Zwangsarbeit in Stalins Gulag-System verurteilt wird. Sein Vergehen: Gemeinsam mit elf anderen Jungen hatte er in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs so genannte „Wolfsangeln“, das Erkennungszeichen des nationalsozialistischen „Werwolfs“, an Hauswände geschmiert. Von einem Militärgericht wurden die Jugendlichen der Sabotage beschuldigt und zu 15 Jahren Straflager verurteilt. Von zwölf verschleppten Jungen kamen nach 1950 nur sechs aus der Gefangenschaft zurück. Der zweite Gast der Veranstaltung, Lothar Scholz, berichtete, wie er nach seiner Verhaftung 1947 acht Jahre lang, anstatt mit Stiefeln, „in Wattestrümpfen über den Polarkreis lief“. Erst nach dem Tod Stalins, am 5. März 1953, rückte seine Entlassung in greifbare Nähe. Trotzdem musste er weitere zwei Jahre in verschiedenen Lagern zubringen, bis er in die Bundesrepublik überstellt wurde.

Im Gegensatz zu Lothar Scholz begann Karl Heinz Vogeley sein Leben in der DDR unter wesentlich ungünstigeren Voraussetzungen. Während die Heimkehrer im Westen, wie Scholz immer noch gerührt berichtete, „wie Helden gefeiert“ wurden, die beste gesundheitliche Versorgung und einen Arbeitsplatz erhielten, erfuhr Vogeley in der DDR von offizieller Seite ausschließlich Ablehnung. Eine Berufsausbildung wurde ihm verwehrt, an eine Arbeitsstelle als Hofarbeiter kam er nur durch die Fürsprache einer Nachbarin. Vogeley erzählt, erst an diesem Punkt, vier Monate nach seiner Rückkehr nach Deutschland, habe er gemerkt, dass er nicht nur „Verbrecher“ sei. Trotz ungünstiger Umstände erarbeitete sich Vogeley im Laufe der Jahre eine leitende Position; wichtige Entscheidungen ließ man ihn jedoch nie treffen. Das Stigma des „politisch Unzuverlässigen“ hing ihm bis zum Untergang der DDR nach.

Der Abend gewann durch die Erzählungen der beiden Männer eine eigene Dynamik. Das eigentliche Thema der Veranstaltung, Gulag-Häftlinge nach der Entlassung, verlor sich dadurch ein wenig. Um so mehr dient das Buch als Nachlese: „Die Gezeichneten – Gulag-Häftlinge nach der Entlassung“ von Meinhard Stark. Der Band erschien im April im Metropol Verlag und kostet 24,00 Euro (Metropol Verlag).

Martina Lehnigk

Montag, 19. April 2010

Der Beginn einer neuen Eiszeit? - Eine kleine Geschichte der Vulkanausbrüche


(Berlin, 19. April 2010) Chaos auf den Flughäfen, erzürnte Fluggesellschaften, Ungewissheit bei Millionen Urlaubern – der Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull unter dem gerade mal fünftgrößten Gletscher Islands hebelt den modernen Reiseverkehr aus wie kein anderes Ereignis zuvor. In nachchristlicher Zeit war er bis 2010 nur drei Mal aktiv – in den Jahren 920, 1612/13 und 1821-23 – und ist damit ein eher ruhiger Zeitgenosse unter den Vulkanen.

Ganz andere Namen kommen uns in den Sinn, wenn wir über diese großen Naturkatastrophen nachdenken. Auf der griechischen Insel Santorin führte um 1.500 v. Chr. ein Vulkanausbruch zu einer riesigen Flutwelle – die Sage von Atlantis entstand. Der berühmte Vesuv zerstörte am 24. August 79 n. Chr. nicht nur Pompeji, sondern auch die Städte Herculaneum und Stabiä mit ca. 2.000 Opfern. Beim Ausbruch des Ätna 1169 starben rund 15.000 Menschen. Beide Vulkane sind bis heute regelmäßig aktiv. Vergleichsweise harmlos wirkt das jedoch zu den Ausbrüchen, die vor allem Indonesien regelmäßig heimsuchen. Fast 100.000 Menschen starben so 1815 beim Ausbruch des Tambora vor allem durch nachfolgende Aschewolken sowie Erdbeben und Flutwellen. Die Sonneneinstrahlung war so sehr beeinträchtigt, dass der Sommer 1816 auch in Amerika und Europa ausfällt.

Ähnliches befürchten Vulkanlaien auch jetzt weltweit. Gigantische Aschemassen steigen seit dem 14. April bis zu 11 Kilometer in die Luft auf. Wann der Ausbruch ein Ende hat, kann niemand voraussagen – über fast zwei Jahre zog sich der letzte, harmlosere Ausbruch Eyjafjallajökulls im 19. Jahrhundert. Auch mögliche, vor allem gesundheitliche Folgen der Eruption können laut Spiegel Online erst gemacht werden, wenn die genaue Zusammensetzung der Aschewolken analysiert ist. Ein Großteil der Teilchen gelange jedoch sowieso nicht bis zum Boden – eine erhöhte Feinstaubkonzentration wurde aktuell in Deutschland noch nicht gemessen. Sollte der isländische Vulkan noch einige Wochen akut explosiv bleiben, könnte sich das Wetter zumindest in Nordeuropa in den nächsten Wochen um einige Zehntelgrad abkühlen. Erst wenn Eyjafjallajökull Nachbarvulkane zum Ausbruch stimuliert, könnte es einen ähnlichen Sommer wie 1816 geben.

Montag, 12. April 2010

Ich würde alles vergessen, aber vergessen kann ich nicht…


OST-Arbeiter – Aufführung im Berliner Dokumentartheater

(Berlin, 12. April 2010) „Ich war vierzehn, als meine Mama dem Zug hinterherlief, weinend, schreiend, begreifend, dass ich nach Deutschland abgeholt wurde, und sie Angst hatte, mich nie wieder zu sehen“ – Worte des ehemaligen Zwangsarbeiters Leonid Sitko aus dem Theaterstück „OST-Arbeiter“, das seit März im Berliner Dokumentartheater aufgeführt wird. Das Besondere an dieser Produktion: sie wird in den Bunkeranlagen in Zusammenarbeit mit dem Berliner Unterwelten e.V. am Blochplatz aufgeführt. Für die Zuschauer bedeutet dies ein Sprung von der Gegenwart in die Vergangenheit, in den Bunkern sind sie mitten im Geschehen.

Neben der Biographie Leonid Sitkos erzählt das Stück vom Leben der Ukrainerin Soja Kriwitsch. Stellvertretend stehen diese beiden wahren Geschichten für 2,5 Millionen Menschen, die im Zweiten Weltkrieg zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert wurden. Bilder von einigen dieser namenlosen Menschen hängen eindrucksvoll an den Wänden des Theaters. Soundcollagen und die Räume und Gänge des Bunkers sind beeindruckende und erdrückende Kulisse zugleich.

2003 entwickelte sich dieses Stück aus einer Spendenaktion für ehemalige Zwangsarbeiter. Die Resonanz war so groß, dass das Stück unter dem Titel OST-ARBEITER weiter aufgeführt wurde – seitdem spielt das Dokumentartheater Berlin gegen das Vergessen an.

Vorstellungen:
März bis Oktober 2010, jeweils am 3. Freitag im Monat, 20 Uhr.
Bunker A (Blochplatz), Bad-/Ecke Hochstraße, 13357 Berlin,
Kartenreservierung erforderlich: 030-49910517, www.dokumentartheater.de.

Sonntag, 11. April 2010

Totenbuch des KZ Buchenwald nun online

Weimar - Die Namen und Daten von rund 38 000 Toten des Konzentrationslagers Buchenwald können ab sofort im Internet eingesehen werden. Das digitale Totenbuch sei den Opfer und ihren Angehörigen gewidmet, teilte ein Sprecher der Gedenkstätte Buchenwald am Samstag mit.

Jeder der darin aufgeführten Menschen erhalte so eine virtuelle Gedenktafel. Angehörige könnten der Gedenkstätte weitere Informationen zukommen lassen und damit die Gedenktafel ergänzen. Für das Totenbuch seien mehr als zehn Jahre lang gut 500 000 Dokumente gesichtet und ausgewertet worden. Es soll in den kommenden Wochen neben Deutsch auch in anderen Sprachen im Internet erscheinen.

Am Sonntag jährt sich die Befreiung des NS-Konzentrationslagers zum 65. Mal.
Das Totenbuch kann unter folgendem Link aufgerufen werden: http://www.buchenwald.de/totenbuch

Dienstag, 6. April 2010

Zwischen Pest und Sparzwang – 300 Jahre Charité in Berlin


(Berlin, 30. März 2010) „Geschichte ist nie zu Ende“, davon ist der Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums, Prof. Dr. Thomas Schnalke, überzeugt. Aber Geschichte hat einen Beginn und dieser Beginn liegt für die Charité mittlerweile 300 Jahre zurück. Gegründet als Quarantänestation für Pestkranke im Jahr 1709 entwickelte sich die Charité zu dem zukunftsgerichteten, modernen Universi-tätsklinikum, das sie heute ist. Der exzellente Ruf der Charité, sowohl in der Patientenversorgung, als auch in Forschung und Lehre, hat sich in den vergangenen Jahrhunderten langsam, aber sicher weit über die Grenzen Deutschlands hinaus verbreitet. Auch zu DDR-Zeiten wurde hier Spitzenforschung betrieben. So ist es nicht verwunderlich, dass sich medizinische Koryphäen weltweit vehement für den Erhalt der Charité einsetzten, als die Klinik im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen nach der Wende 1989 geschlossen werden sollte.
Um das Jubiläum angemessen zu feiern, aber auch zur Erinnerung an die wechselhafte Geschichte der Charité, wurde am 25. März 2010 die Sonderausstellung „Charité. 300 Jahre Medizin in Berlin“ eröffnet. Die Kuratorin der Ausstellung, Isabel Atzel, hat sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Charité in allen ihren Facetten zu beleuchten. Dazu gehören, so Atzel, „glückliche Entdeckungen, zündende Ideen, aber auch Ab- und Irrwege“ in der Geschichte des Hauses. So fehlte in den Vorträgen im Rahmen der feierlichen Eröffnung auch nicht der Hinweis, dass nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten nicht ein einziges Mitglied des Kollegiums seine Stimme gegen die Vertreibung der jüdischen Ärzte und Schwestern aus Forschung, Lehre und Praxis erhob. Der Focus der Ausstellung liegt nicht hauptsächlich auf den Ab- und Irrwegen des berühmten Hauses; diese werden jedoch nicht verschwiegen. Eine Ausstellung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die 300jährige Geschichte der Charité zu beleuchten, darf wenig ruhmreiche Epochen nicht verschweigen, aber auf sie auch nicht das Hauptaugenmerk des Betrachters lenken.
Auch acht Nobelpreisträger, die an der Charité ihren wissenschaftlichen Weg begannen, werden in der Ausstellung gewürdigt, darunter z. B. Robert Koch oder Emil von Behring. Neben berühmten Mitarbeitern des Klinikums verfolgt die Ausstellung den Wandel von Krankheitsbildern und zeigt Arbeitsgeräte von Ärzten im Verlauf von 300 Jahren. Mit Hilfe von beleuchteten Informationstafeln wird die klinische Praxis an der Charité unserer Zeit dargestellt – einer Zeit, in der über die Kooperation der Charité mit den Vivantes Kliniken verhandelt wird und in der „wissenschaftliche Revolutionen, aufgrund ihrer Häufigkeit, schon beinahe Normalität sind“, wie Prof. Dr. Jürgen E. Zöllner (Senator für Wissenschaft und Forschung in Berlin), betont.

Die Ausstellung ist bis zum 27. März 2011 im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zu sehen: Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel. 030/ 450 536 156, www.bmm.charite.de, Öffnungszeiten Di-So 10-17 Uhr, Mi+Sa 10-19Uhr.

Martina Lehnigk

Montag, 29. März 2010

In memoriam Freya von Moltke

(Berlin, 29. März 2010) In der Französischen Friedrichstadtkirche fand letzte Woche ein Gottesdienst zum Gedenken an die Widerstandskämpferin Freya von Moltke statt. Sie starb am 1. Januar 2010 in Norwich/Vermont im Alter von 98 Jahren.
Die promovierte Juristin heiratete 1931 Helmuth James Graf von Moltke und begründete mit ihm und weiteren Gleichgesinnten 1940 den ‚Kreisauer Kreis’, eine zivile Widerstandgruppe gegen den Nationalsozialismus. Die Gruppe war nach dem Gut der Familie von Moltke im schlesischen Dorf Kreisau benannt und setzte es sich zum Ziel, Pläne zur gesellschaftlichen und politischen Neuausrichtung nach dem Ende der Hitler-Diktatur zu entwickeln – drei Tagungen fanden dazu in Kreisau statt. Doch 1944 wurde Helmuth James von Moltke verhaftet und nach Ermittlungen im Zuge des Stauffenberg-Attentats vom 20. Juli Anfang 1945 wegen Hochverrats hingerichtet. Freya flüchtete mit den zwei Söhnen, lebte zunächst in Südafrika, ab 1960 in Vermont in den USA.
Nach 1990 wurde das Gut in Kreisau in eine Begegnungsstätte zur europäischen und besonders zur deutsch-polnischen Verständigung umgewandelt. Freya von Moltke war Ehrenvorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung. 2004 wurde zudem die Freya-von-Moltke-Stiftung für das Neue Kreisau gegründet – sie dient der Unterstützung und Absicherung der Begegnungsarbeit in Kreisau.
Heute ist das Gut ein lebendiger Ort des Austausches geworden. Bei Seminaren, Workshops und Ausstellungen, die das ganze Jahr über stattfinden, setzen sich Jugendliche und Erwachsene aus verschiedenen Ländern Europas mit den Themen Widerstand und Opposition sowie der deutsch-polnischen Geschichte und europäischen Integration auseinander.

Website der Freya-von-Moltke-Stiftung

Website der Stiftung Kreisau

Montag, 1. März 2010

Du bist, was du isst - „Evolutionary Fitness“


(Berlin, 01. März 2010) “Wie verrückt muss man sein?”, werden Sie sich bestimmt gleich fragen, wenn Sie vom neuen Sport- und Ernährungstrend aus den USA lesen: Evolutionary Fitness oder auch Paläo-Diät.

Erfinder ist der emeritierte 72-jährige Wirtschaftsprofessor Arthur de Vany – „and he has less than 8% body fat“, gibt er auf seiner Website an. De Vany lebt nach der Überzeugung, dass der Mensch für unsere moderne Ernährung und Lebensweise gar nicht geschaffen wurde. Steinzeitmenschen hingegen lebten gesünder und ihrer Umgebung besser angepasst. Auf den Tisch kommen daher nur Lebensmittel, die es schon in der Steinzeit gab. Die Kost ist strikt: Fleisch, Samen, Nüsse, Obst, Gemüse und Fisch. Nichts, was landwirtschaftlich angebaut werden muss. Kein Getreide, Reis oder Kartoffeln – Kohlehydrate verteufelt der ehemalige Professor der University of California, denn sie hätten uns für die Mammutjagd zu sehr ermüdet. Mit seiner Frau lebt er in der Wüste Utahs und zieht schon mal seinen Land Rover am Seil aus der Garage – schließlich setzten sich Steinzeitmenschen nach der Jagd auch nicht einfach hinters Steuer und fuhren in ihre Höhle.

Was sich in der Theorie durchaus vertretbar anhört, sieht bei De Vany und seinen Anhängern in der Praxis folgendermaßen aus: Neben ihrer eingeschränkten Ernährung schleppen sie Baumstämme und baden in Eiswasser. Barfuss und mit freiem Oberkörper rennen sie durch die Wildnis – oder auch mal schreiend über die New Yorker Brooklyn Bridge. Fleisch wird in großen Massen gegessen, dann wird wieder einige Zeit gefastet. So wie es unsere Vorfahren auch tun mussten. Die Website „Eating Paleo in NYC“ informiert moderne Höhlenmenschen über das Überleben im Großstadtdschungel. Zum Beispiel wie man Trockenfleisch herstellt.

Mittwoch, 17. Februar 2010

Ist ziviler Ungehorsam eine Niederlage für den Rechtsstaat?


(Berlin, 16. Februar 2010) Als großer Erfolg wurde die Blockade gegen den Aufmarsch von 6.400 Rechtsextremen am Samstag, dem 13. Februar, in Dresden in der Presse gefeiert. „Niederlage für die Rechten“ titelte zum Beispiel die taz am nächsten Tag. Am 65. Jahrestag des Bombardements auf die sächsische Hauptstadt gelang es 12.000 Gegendemonstranten, den geplanten Zug der Neonazis durch die linksalternative Neustadt zu verhindern. Stundenlang blockierten sie die vereisten Straßen um den Neustädter Bahnhof, von dem aus der Zug der Neonazis starten sollte. ‚Ziviler Ungehorsam’ hieß das Schlagwort an diesem Tag. Die Polizei, die mit 7.000 Mann über die Stadtgrenzen hinaus kontrollierte, verbot schließlich den Marsch: Sie hätte die Sicherheit der Neonazis nicht gewährleisten können.
Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz möchte den Gegendemonstranten für ihr Tun jedoch nicht danken. Die Menschenkette von über 10.000 Bürgern auf der Altstadtseite, zu der die Stadt aufgerufen hatte, habe den Aufmarsch verhindert, sagte sie am Montag auf einer Pressekonferenz zu den Ereignissen am Wochenende. Um eine Danksagung an die Blockierer des Neustädter Bahnhofs einige Kilometer weiter, unter denen sich auch Bürgermeister anderer Städte befanden, drückte sie sich. „Ich bedanke mich bei allen friedlichen Protestierern“, war ihr einziger Kommentar. „Blockaden können nicht das Mittel der Zukunft sein“, sagte der Landespolizeipräsident und bekräftigte damit Orosz’ Zurückhaltung.
Obwohl eine friedliche Blockade keine Straftat ist, wie das Bundesverfassungsgericht feststellte, bleibt die Frage, ob es richtig ist, eine genehmigte Demonstration zu verhindern, selbst wenn es eine Nazi-Demo ist. Politik-Professor Eckard Jesse von der TU Chemnitz bezeichnet die Blockaden gegenüber der taz als „Niederlage für den Rechtsstaat“ – die Gerichte, nicht die Blockierer, entscheiden, ob eine Demo stattfindet.

Dienstag, 9. Februar 2010

Geschichte ist öffentlich - Public History an der FU Berlin


(Berlin, 09. Februar 2010) Seit dem Wintersemester 2008/09 kann in Berlin erstmals angewandte Geschichte ‚auf Master’ studiert werden: Public History heißt der anwendungsorientierte, konsekutive Masterstudiengang der Freien Universität Berlin in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. Dem hohen medialen Interesse an Geschichte sowie der wachsenden Bedeutung von Museen, Gedenkstätten und anderen historischen Lernorten wird so Rechnung getragen.
Neben theoretischen Kompetenzen bietet der Studiengang vor allem praxisnahe Einblicke in die Arbeitswelt von ‚Public History’ – Öffentlichkeitsarbeit, Unternehmensgeschichte und Kulturmanagement stehen während des 4-semestrigen Studiums im Vordergrund. Projektbezogene Praktika sind Pflicht, Auslandsaufenthalte ausdrücklich erwünscht. Lehrbeauftragte aus Museen, Medien oder Politik vermitteln unmittelbar Fachwissen und wertvolle Kontakte in den Arbeitsmarkt des Historikers – und der ist laut Website des Studiengangs breit: Tür und Tor in Medien, Verlagen, Museen, Gedenkstätten, Verbänden, Stiftungen und Unternehmen stehen dem frischgebackenen Master of Arts nach Studienabschluss offen.

www.public-history.fu-berlin.de

Dienstag, 2. Februar 2010

Unsere Bücher auf dem Smartphone


(Berlin, 01.Februar 2010) Auch wenn wir der Vergangenheitsverlag sind, sind wir natürlich nicht von gestern: Alle Titel des Verlags werden als E-Book angeboten – und ab sofort gibt’s bei uns auch ausgewählte Titel für das iPhone über unseren Kooperationspartner Textunes. Den Anfang unserer Reihe Mobile Books machen zwei Sachbuchklassiker: „Vom Kriege“ von Clausewitz und „Das Manifest“ von Marx und Engels – jeweils mit Einleitungen und Informationen.

Karl Marx und sein Freund Engels sind zurück: Nach der Wende 1989/90 wurden noch allerorten die Engels- und Marx-Büsten in der ehemaligen DDR und im „Ostblock“ abgebaut, vergraben und versteckt. Heute lobt selbst die bildungsbürgerlichste Zeitung des Landes, DIE Zeit, das Erbe des Geistestitanen – Karl Marx. Bei uns gibt’s das Manifest für unterwegs für alle getriebenen Möchtegernrevoluzzer zum Antrieb und Nachdenken!

Vom Kriege“ von Carl von Clausewitz ist eines der berühmtesten Sachbücher der Literaturgeschichte. Der preußische Kriegsphilosoph gilt als der europäische Strategielehrmeister. Kaum ein Managerkurs verzichtet heute auf „Vom Kriege“, um das strategische Denken von Entscheidern zu schärfen. Mit einem einleitenden Essay und allen wichtigen Facts zum Buch sowie sechs talking lines für das intelligente Konversieren von Krieger zu Krieger.

Auch zwei unserer spannendsten hauseigenen Sachbücher gibt es künftig auf das Smartphone für unterwegs: „Im Wald, da sind die Räuber“ von Viktoria Urmersbach berichtet über die Geschichte des Waldes – über Schlachten, Märchen, die Försterfilme der Nachkriegszeit und das Waldsterben.

Mit unserem Reiseführer „Die Berliner Mauer. Geschichtstouren für Entdecker“ können Sie die Geschichte der Mauer nacherleben. Zahlreiche Fotos und Karten, anschauliche Texte sowie Hintergrundinfos und Quellenmaterial machen die Geschichtstour zu einem spannenden Erlebnis.

Download: Über iTunes oder www.textunes.de/vergangenheitsverlag

Dienstag, 26. Januar 2010

„Ich ging im Walde so vor mich hin…“ - Eine kleine Kulturgeschichte des Waldes


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„Ich ging im Walde / So vor mich hin, / Und nichts zu suchen, / Das war mein Sinn.“
(Berlin, 26.01.10) Um 1800 dichtete Johann Wolfgang von Goethe diese Zeilen und so ist auch heute noch, wenn Spaziergänger die klare Waldluft atmen und ihre Gedanken schweifen lassen. Wann waren Sie das letzte Mal im Wald? Die Deutschen sind ein Volk von Waldfans und begeisterten Wanderern, wenn man Historikern, Ethnologen und Freizeitforschern Glauben schenken mag. Die Sehnsucht nach dem Wald ist die Sehnsucht von Herkunft und Heimat.
Erst zwischen dem 9. und 7. Jahrtausend vor unserer Zeitrechnung konnte der Wald nach Rückzug der Gletscher überhaupt entstehen. Und kaum war er da, machten ihn die Menschen sich schon Untertan. Er wurde gerodet, verbrannt, musste im wahrsten Sinne des Wortes das Feld räumen. Spätestens in der Eisenzeit wird der Wald zur Kulturlandschaft.
Wir verdanken ihm viel – Nahrung und Heimat, unsere Anfänge als Germanen, mit Herrmann dem Cherusker, dem ersten germanischen Helden im Wald. Märchen und Mythen ranken sich um den Wald – Hänsel und Gretel sind nicht die Einzigen, die sich im dunklen Dickicht fürchteten. Aber der Wald ist Menschenwerk und viel mehr Kulturraum als Natur – sonst hätte er nicht überleben können. Ein Ur-Wald ist schon seit Menschengedenken in Deutschland nur noch Illusion.
Im Mittelalter wird der Wald vom Allgemeingut zum Adelsbesitz – und ist fortan für Jahrhunderte Schauplatz für Konflikte zwischen Herrschern und Untertanen. Die Deutschen haben ihre politischen und nationalen Träume und Konflikte immer wieder mit dem Wald verbunden: Der Wald und wir, das ist eine Art Schicksalsgemeinschaft. Und auch deshalb existiert neben dem lieblichen malerischen Waldbild auch das andere, das des schaurigen, gefährlichen Waldes – Schillers Räuberwald ebenso wie die romantischen Malereien des 19. Jahrhunderts. Nach dem Zweiten Weltkrieg sollte der Wald wieder ein friedlicher, beschaulicher Ort werden: Die erfolgreichsten deutschen Filme Anfang der 50er Jahre heißen „Schwarzwaldmädel“ oder „Grün ist die Heide“.
Doch wie steht es um die Zukunft des Waldes? In den 1980er Jahren sah es so aus, als hätte der Wald keine Zukunft mehr. „Waldsterben“ war das erschreckende Schlagwort – und ein deutsches Phänomen, das im Ausland sofort mit dem innigen Verhältnis der Deutschen zu ihrem Wald in Verbindung gebracht wurde. Tatsächlich ist der Wald in immer schlechterem Zustand: Waren 1984 immerhin noch 44 Prozent des Baumbestandes gesund, sind es 2006 noch 32 Prozent. Immer mehr Nationalparks und Naturschutzgebiete entstehen daher, in denen möglichst nicht von menschlicher Hand in den natürlichen Wachstumsprozess eingegriffen wird. Im nordhessischen Nationalpark Kellerwald-Edersee entsteht gerade die Wildnis von morgen – kein Förster, kein Landschaftsgärtner legt hier Hand an den Wald. Und in paar Jahrhunderten wäre er fertig, der erste deutsche Ur-Wald.
Mehr zu Geschichte des Waldes erfahren Sie in dem Taschenbuch „Im Wald, da sind die Räuber“ von Viktoria Urmersbach.